Kategorie: In der Zeitung

Diese Artikel wurden zuerst in der Neuen Luzerner Zeitung publiziert.

Portrait über Mario Frick: Der Drang nach Wertschätzung

Mario Frick hat dem FC Luzern wieder Leben eingehaucht. Was zeichnet den Liechtensteiner Trainer aus, der einst der mit Abstand beste Fussballer seines Landes war?

Der Wechsel war noch nicht fix. Doch Mario Frick wusste, was er wollte. Der Trainer des FC Vaduz sagte nach einem 3:2-Sieg in Winterthur: «Der FC Luzern will mich und ich will zum FC Luzern.» Das TV-Interview kurz vor Jahresfrist stand am Anfang der Amtszeit des Liechtensteiners in Luzern. Seine klare Aussage zeigt auf, wie der 47-Jährige tickt. Wenn er etwas will, dann fordert er es ein. «Ich war in der Euphorie, weil wir mit Vaduz den ersten Platz verteidigt haben. Das war mir als Abschluss sehr wichtig», sagt Frick dazu.

Seit jenem Interview sind mehr als fünf Monate vergangen, in denen Frick den Tabellenletzten Luzern aufgepäppelt und zurück in die Spur gebracht hat. Den direkten Abstieg hat er bereits abgewendet, spätestens nach dem 4:0-Sieg gegen Servette sind die Chancen gross, auch noch dem Barrageplatz zu entfliehen. Dazu braucht es vorerst heute einen Sieg in Sion.

Als Trainer beim FC Vaduz hatte sich der Liechtensteiner einen guten Namen gemacht. Zunächst der überraschende Aufstieg in die Super League, dann eine starke Rückrunde und doch der knappe Abstieg. Eine herbe Niederlage für Frick, doch im Winter der Absprung in die Innerschweiz. Dorthin, wo der Fussball einen grösseren Stellenwert besitzt. «Bei uns interessiert man sich eher für das Skifahren», sagt Frick. Dazu sei die Neidkultur im Ländle, wo jeder jeden kenne, gross. «Man mag sich vielleicht weniger gönnen.»

Ein Tor «schöner als ein Orgasmus»
Frick trägt das Herz auf der Zunge. In seiner Spielerkarriere fiel er das eine oder andere Mal mit brisanten Aussagen auf. Als Frick für Basel gegen Ex-Klub St. Gallen traf, sagte er in die laufenden Kameras: «Das ist schöner als ein Orgasmus.» Und als er mit Basel 1997 eine 1:2-Niederlage gegen den Tabellenletzten Etoile Carouge kassierte, meinte er: «Ich glaube, morgen ist Jörg Berger nicht mehr unser Trainer.» Obwohl Frick recht behalten sollte, gab es eine Busse gegen den vorlauten Stürmer.

Heute wirkt Mario Frick alles andere als vorlaut. Im Gespräch fällt er durch seine bodenständige und höfliche Art auf. Für seine leichte Verspätung entschuldigt er sich gleich mehrfach. «Mario ist sehr offen, gerade und direkt, aber ein sehr umgänglicher Typ», sagt Franz Burgmeier. Der heutige Vaduz-Sportchef, der Frick beim Liechtensteiner Klub als Trainer installiert hatte, spielte mit ihm viele Jahre im Nationalteam. Obwohl Frick der grosse Star Liechtensteins war, sei er nie arrogant aufgetreten. «Er war ein sehr aufgestellter und positiver Mitspieler», sagt Burgmeier. Doch: «Er ist nicht immer durch Laufbereitschaft aufgefallen.»

Frick ist der beste Liechtensteiner Fussballer aller Zeiten. Spielte er im Nationalteam, gab es dennoch häufig Sprüche gegen den Star, der als Mittelstürmer auf die Bälle wartete. «Ich spielte damals ein bisschen zu sehr für mich selber. Zehn Mann haben verteidigt und ich blieb auf der Mittellinie stehen», sagt Frick rückblickend. Die Reisen mit dem Nationalteam waren für ihn wie Ferien. «Der ganze Druck aus dem italienischen Fussball ist von mir abgefallen. Auch mit 50 Prozent Einsatz konnte ich noch mithalten.»

Rekord: 100 Niederlagen in Länderspielen

Beim 100. Länderspiel trägt Mario Frick die Nummer 100. Später verliert er als einziger Spieler weltweit für sein Nationalteam zum 100. Mal.
Keystone (Vaduz, 10. August 2011)
Insgesamt schoss Frick im Nationalteam 16 Länderspieltore: Rekord. Eine andere Statistik bringt ihm sogar einen Weltrekord ein: Als einziger Spieler weltweit verlor Frick 100 Länderspiele. «Natürlich hätte ich lieber häufiger gewonnen. Aber es ist schon schön, einen Weltrekord zu haben», sagt Frick lachend.

125-mal lief er für seine Nation auf, ein Grossteil davon als Captain. 22 Jahre lang war er Nationalspieler, das ist zunächst ebenfalls Weltrekord. 2015 tritt er zurück, mittlerweile als Innenverteidiger. Der Höhepunkt sollte 2004 ein 2:2-Unentschieden gegen Vize-Europameister Portugal sein – mit Cristiano Ronaldo, Luis Figo und Deco.

«Super Mario» und die Liebe der italienischen Fans
Dass Frick gegen solch grosse Namen auch in der italienischen Serie A kickte, kriegten viele Liechtensteiner kaum mit. Noch nach Jahren als Profi in Italien, wurde er im Fürstentum gefragt, ob er vom Fussball leben könne. «Mir fehlte es im eigenen Land an der Wertschätzung.» In Italien nannten ihn die Fans von Hellas Verona, Siena und Ternana «Super Mario» und «Il Principe», was der Fürst bedeutet. Endlich lieben ihn die Fans. Da spielte es Frick auch keine Rolle, dass die Leute bis zum Schluss meinten, er sei Luxemburger.

Zu Hause fehlte ihm der Rückhalt seines Vaters, der ihm immer wieder eingetrichtert hatte, dass er es nicht schaffen werde. «Ich wollte es ihm und allen zeigen», sagt Frick. Bei seinem Jugendverein Balzers schiesst er in einer Saison fast 40 Tore, wechselt danach zu St. Gallen und ist Stammspieler.

Weil Frick es anders machen wollte als sein Vater, ermöglicht er seinen Söhnen Yanik, 23, und Noah, 20, viel. «Aber das hat seine Schattenseite: Ihnen lief es wohl zu einfach. Es fehlt der Biss.» Bei den Fussballtalenten ist die Karriere ins Stocken geraten, Yanik spielt beim rumänischen Drittligisten Ceahlaul. Und Noah Zinedine, einst noch unter Vater Mario bei Vaduz, spielt bei Gossau in der 1. Liga. Mit seiner Frau Isabelle hat Frick auch noch eine 13-jährige Tochter.

Die Website mit den Trainerbewertungen

Götti der Tochter ist Martin Stocklasa, der heutige Nationaltrainer Liechtensteins. Bei Zürich spielen die beiden langjährigen Nationalspieler erstmals zusammen. Für Stocklasa ein Segen. «Für mich war Mario damals ein Vorbild», sagt er. Heute verbindet die beiden eine tiefe Freundschaft. Er weiss, warum Frick als Trainer Erfolg hat: «Mario hat einen brutalen Ehrgeiz und eine grosse Mentalität. Das lebt er zu 100 Prozent vor.»

Wie gross der Ehrgeiz Fricks ist, bekommt Gilbert Gress im Jahr 2000 zu spüren. Der damalige FCZ-Trainer gewinnt mit Frick den Cup, später kommt der Krach. «Gress sagte mir, ich könne vom Talent her bei Bayern München spielen, aber er setze nicht mehr auf mich. Da wollte ich weg.» Frick führt damals seine eigene Website. Dort beurteilte er seine Trainer öffentlich. Über Gress schrieb er: «Ein Steinzeitmensch in Sachen Menschenführung.» Frick hat sich mit der Trainerlegende nie ausgesprochen, lobt aber immer noch dessen Fussball.

Handlung aus dem Impuls, die passt
Weil September und das Transferfenster in den grossen Ligen schon geschlossen war, wechselte er zu Arezzo in die italienische Serie C. Stocklasa erinnert sich: «Mario wurde für diesen Wechsel belächelt. Aber er wusste: Er muss viele Tore schiessen, dann geht es einen Schritt vorwärts. Und das hat er getan.» Frick schiesst Tor um Tor, ist rasch Publikumsliebling und wechselt noch rascher in die Serie A. «Ich habe häufig aus dem Impuls heraus gehandelt, es hat sich aber als richtig herausgestellt», sagt Frick.

Die Trainerkarriere ist genauer geplant, stellt Stocklasa fest. «Mario hat sich mit dem FC Luzern von Anfang an voll identifiziert.» Der Wechsel nach Luzern sei genau der richtige Schritt gewesen, findet auch Burgmeier. Was hat Frick in Luzern geändert? «Mario hat das Feuer zurückgebracht. Die Spieler haben unter ihm keine Angst, Fehler zu machen.»

Als Liechtensteiner musste sich Frick immer wieder durchbeissen. Zum Ende des Gesprächs kommt die Frage auf, ob es immer noch der Drang nach Wertschätzung sei, der ihn antreibe. «Ja, absolut. Das ist mein Antrieb.» Auch als Trainer will es Mario Frick allen zeigen.

Publiziert in allen CH-Media-Zeitungen am 11. Mai 2022.

Frauenfussball zwischen prächtiger Kulisse im Cupfinal und tristem Alltag in der Liga

Beim 4:1-Sieg des FC Zürich gegen die Grasshoppers im Schweizer Cupfinal sorgen fast 8000 Fans für Stimmung. Im Ligaalltag herrscht aber Tristesse.

Wieder ein Rekord. Als der Stadionspeaker die Zuschauerzahl bekanntgibt, entbrennt Applaus: 7916 Personen sind in den Letzigrund gekommen. So viele wie noch nie beim Frauen-Cupfinal. Die FCZ-Fans, für einmal nicht in der Südkurve, sondern auf der Gegentribüne, besingen ihren Letzigrund. Einige Minuten später ist dort die Stimmung ekstatisch: Die FCZ-Spielerinnen feiern vor ihren Fans. Soeben sind sie mit einem überzeugenden 4:1-Erfolg im Stadtderby gegen GC zum 15. Mal Cupsiegerinnen geworden.

Die vorangegangene Partie war beste Werbung für den Schweizer Frauenfussball. Zum einen, weil der FCZ eine starke Partie zeigte und sich GC trotzdem zunächst zurückkämpfte. Zum anderen aber auch, weil die spektakuläre Partie einmal mehr bewies, dass Frauenfussball Zuschauermassen begeistern kann.

Mitte Monat spielte das Nationalteam in Thun gegen Italien vor 6281 Personen, im letzten November empfing Servette in der Champions League Chelsea vor 12’782 Fans. Und international knackt Barcelona alle Rekorde. Zum Champions-League-Halbfinal gegen Wolfsburg kamen 91’648 Menschen.

Der Männerfussball dominiert in den Klubs
Auf den ersten Blick boomt der Frauenfussball also. Auf den zweiten wird aber deutlich, dass noch immer einiges nicht funktioniert. Als zwei Wochen zuvor das Zürcher Derby in der Frauen-Super-League steigt, ist die Kulisse des Cupfinals weit weg.

Auf dem Campus dürfen die GC-Frauen nicht auf dem Hauptplatz mit Tribüne spielen, sondern lediglich auf einem Kunstrasen-Nebenplatz. Beim ersten GC-Derbysieg seit elf Jahren sind nur 250 Personen dabei. Solche Beispiele gibt es fast an jedem Ligastandort. Die Zuschauerzahlen liegen überall unter 1000. In Yverdon kamen zuletzt nur 50 Personen, in St. Gallen 80.

«Ich bin überzeugt davon, dass der Austragungsort und die Atmosphäre eine grosse Rolle spielen, wie viele Zuschauerinnen und Zuschauer kommen», sagt Meriame Terchoun. Die Nationalspielerin vom FC Zürich stellt aber fest: «Leider ist das Frauenteam innerhalb der Vereine nicht genug wichtig. Insgesamt tut sich noch viel zu wenig.»

Der FCZ spielt im Heerenschürli, wo es eine Tribüne gibt. Jedoch ist diese nicht überdacht: «Wenn es regnet, haben wir kaum Zuschauer», so Terchoun. Beim Cupfinal im Letzigrund regnete es in Strömen.

Eine, die für Veränderung im Frauenfussball steht, ist Tatjana Haenni. Die Direktorin Frauenfussball beim SFV meint kritisch: «Viele gute Schritte wurden eingeleitet. Leider fehlt es aber noch immer an einigen Dingen. Der Verband ist historisch gewachsen strukturell auf den Männerfussball ausgelegt.»

Als Beispiel nennt sie den Zentralvorstand des SFV. Darin vertreten sind die Swiss Football League, die Erste Liga und die Amateurliga. Diese Abteilungen haben den Fokus auf dem Männerfussball, der Frauenfussball ist aber irgendwie mitgemeint. «Die Medien und die Öffentlichkeit, mehr und mehr auch die Wirtschaft, haben realisiert, dass der Frauenfussball interessant sein kann. Aber innerhalb des Fussballs fehlt vielerorts das ernst gemeinte Interesse», sagt Haenni.

«Das höchste Zuschauerpotenzial»
Häufig werde der Frauenfussball nebenbei behandelt. «Die Frauen-Super-League hat nach der Männer-Super-League das höchste Zuschauerpotenzial – höher auch als die Challenge League. Dafür muss aber etwas getan werden», so Haenni. Terchoun findet, auch die Spielerinnen sollten aktiver werden. «Viele sind Influencerinnen, nutzen dies aber zu wenig. Wir müssen dafür sorgen, dass der Frauenfussball wächst.»

In den Minuten nach dem Cupfinal, den selbst die GC-Spielerinnen als aussergewöhnlich beschrieben, beschäftigt man sich aber nicht mit solchen Gedanken. Doppeltorschützin Fabienne Humm strahlt und sagt: «Es ist einfach aussergewöhnlich gewesen, vor diesen Fans zu feiern. Für uns ist ein Traum wahr geworden.» Doch das soll erst ein Anfang sein.

Publiziert in den CH-Media-Zeitungen am 3. Mai 2022 und bei Watson.

Weit weg von der Grossstadt

130 Kilometer ausserhalb Moskaus schauen Freunde und Familie in einem Wochenendhaus den Viertelfinal Russland gegen Kroatien. Das Spiel verkommt zur Nebensache, diskutiert wird über Politik und das russische Leben.

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