Ein Navi braucht er nie

Raphael Schalbetter (23) holte im Orientierungslauf für die OLG Nidwalden und Obwalden den Gesamttitel und den Schweizer-Meister-Titel. Dass er so durchgestartet ist, überrascht sogar ihn selber.

Einen Termin mit Raphael Schalbetter zu finden, ist nicht einfach. Neben seinem Sport Nummer eins, dem Orientierungslauf, muss in Schalbetters Leben noch viel anderes Platz haben. Studium der Umweltingenieurwissenschaften an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) in Zürich, die Arbeit in einem Ingenieurbüro, Freunde und Familie – und vor allem noch mehr Sportarten. Schalbetter spielt Tennis und Tischtennis, wandert leidenschaftlich gerne und macht Skitouren. «Auf den Sport verzichten, könnte ich nicht. Dann verzichte ich lieber auf eine Übungsserie an der ETH», sagt er. Aber: «Ja, manchmal ist es schon stressig.» Zwei Stunden Zeit für Interviewtermin und für ein Fotoshooting hat er einzig um sieben Uhr morgens. Doch gestresst wirkt er deshalb nicht.

Die Ruhe müsse man schliesslich auch im Wald behalten. Dann, wenn es ernst gilt. Und wenn er einen Posten nicht im ersten Moment findet. «Man muss ruhig bleiben, dann findet man den Posten schon. Sonst kann es sein, dass man total aus dem Konzept fällt, und dann findet man gar nichts mehr», so Schalbetter. So ruhig wie im Wald ist er aber nicht immer. «Ich habe auch eine andere Seite», sagts und lächelt verschmitzt.

Andere Sportart muss dran glauben

Lange muss er im Wald einen Posten aber normalerweise sowieso nicht suchen. Der Orientierungssinn von Raphael Schalbetter ist aussergewöhnlich. Ein Navigationsgerät oder die Karten-App im Smartphone braucht er nie. Auch nicht an Orten, an denen er noch nie war. «Wir brauchen auch in den Ferien höchstens eine Karte», sagt er. Das Kartenlesen gehört zu den wichtigsten Fähigkeiten für einen erfolgreichen Orientierungsläufer. Und erfolgreich, das war der 23-Jährige aus Wettswil ZH in diesem Jahr. Für die OLG Nidwalden und Obwalden holte er sich den Gesamtsieg und den Schweizer-Meister-Titel in der Kategorie Herren A mittel – der dritthöchsten Kategorie im OL.

Seine grosse Stärke sieht er aber nicht etwa im Kartenlesen, sondern in seiner Kondition. «Ich habe wohl von Grund auf gute Voraussetzungen. Auf meine Kondition kann ich mich eigentlich immer verlassen. Das ist ein grosser Vorteil: Ich kann mich während des Laufs komplett auf den Kurs konzentrieren.»
Warum er in dieser Saison vollends durchstarten konnte, weiss er nicht genau. «Ich bin selber überrascht.» Einer der Gründe ortet aber in der Tatsache, dass er sich noch mehr auf den OL fokussiert hat. Die anderen Sportarten mussten in seinem Leben ein bisschen in den Hintergrund rücken. «Für mich hat der OL Priorität. In Zukunft könnte es daher sein, dass eine andere Sportart deshalb wegfällt», so der 23-Jährige. «Aber ob ich nur deshalb so erfolgreich war? In dieser Saison passte es einfach: Ich machte wenig Fehler und konnte deshalb eine konstante Saison laufen.» Wenn man ihn nach dem Tiefpunkt der Saison fragt, muss er nachdenken. Ein Rennen fällt ihm aber trotzdem ein: «Ich darf es fast nicht sagen. Aber der Tiefpunkt war wohl der 5. Rang bei der Schweizer Meisterschaft über die Mitteldistanz», sagt er. «Aber eigentlich war auch das ein super Lauf.»

Er stammt aus einer OL-Familie

Orientierungslauf gehört seit frühster Kindheit zum Leben von Raphael Schalbetter. Er ist der älteste Sohn einer typischen OL-Familie. Seine Mutter, gebürtige Stanserin, und sein Vater laufen ebenfalls für die OLG Nidwalden und Obwalden. «Uns haben sie immer mitgenommen. Deshalb kamen wir früh mit dem OL und diesem Verein in Kontakt», sagt Raphael Schalbetter. «Irgendwie sind wir dann da rein gerutscht und sind deshalb immer Orientierungsläufe gelaufen.» Auch seine drei jüngeren Geschwister laufen für die OLG NOW.

Nicht nur mit der Karte ist die Familie in der Natur unterwegs. Im Ferienhaus in Grengiols im Wallis, wo sein Vater aufgewachsen ist, ist die Familie oft beim Wandern oder auf den Langlauf-ski anzutreffen. Dort fühlt sich Raphael Schalbetter auch viel wohler als im Büro. «Ich brauche Bewegung in der Natur. Eine reine Bürowoche ist für mich darum der blanke Horror», sagt er. Ähnlich geht es ihm beim Sport. In der Halle spielt er etwa nur ungern Tennis. «Auf dem Sand im Sommer ist es super, aber in einem geschlossenen Raum macht es weniger Spass.» Ein Stadtkind ist er deshalb so gar nicht. Und das, obwohl er OL in der Stadt mag. «Die sind echt spannend und abwechslungsreich.» Aber das reicht nicht: «Wenn ich in die Stadt ziehen würde, müsste ich wohl noch öfter raus an die frische Luft.»

Er wechselt nun die Kategorie

Durch den OL-Sport hat er übrigens auch seine Freundin kennen gelernt. Käthi Burkart wurde an den Schweizer Meisterschaften 13. über die Langdistanz und 16. über die Sprintdistanz. Verständnis und Stolz für die tolle Saison ist ihm von dieser Seite also sicher.

Was ist nach dieser erfolgreichen Saison noch möglich? «Der Zug nach ganz oben ist zwar schon abgefahren, ich möchte aber noch erfolgreicher sein und so lange oben mitlaufen, wie es geht.» Deshalb versucht er sich im neuen Jahr in der Kategorie Herren A lang. Wie gross erwartet er den Niveauunterschied? «Die Läufe sind nicht schwieriger, aber die Distanzen grösser und das Tempo höher.» Für ihn bedeutet das trotz guter Kondition: intensives Training, um genügend Kondition für den längeren Lauf zu haben. «Bei den Herren A lang läuft man mindestens einen Drittel mehr, deshalb muss ich schon noch an der Kondition büffeln», meint er.

Raphael Schalbetter muss los. Den Termin mit der Zeitung war nur der erste eines langen Tages: Es warten Vorlesungen, Stunden im Labor und natürlich viel Sport.

Publiziert in der Luzerner Zeitung am 8. November 2016.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.