YB ist erneut Schweizer Meister: Höchstverdient. Weshalb die Berner von Erfolg zu Erfolg eilen, was das über die Liga aussagt und worauf die Konkurrenz hoffen darf. Eine Analyse.
Die Young Boys sind zum vierten Mal in Folge Schweizer Meister. Zur definitiven Entscheidung reicht ein souveräner 3:0-Heimsieg gegen den FC Lugano. Alle drei Tore erzielt der Liga-Topskorer Jean-Pierre Nsame.
Wieder ist es Nsame, der die Berner zu Hause zum Meistertitel schiesst. So wie damals, am legendären 28. April 2018. Unvergessen ist jenes Spiel gegen Luzern, in dem Nsame in der 89. Minute zum 2:1-Sieg traf – und das Wankdorfstadion zum Beben brachte. Bilder der Feierlichkeiten nach 32 Jahren ohne Titel gingen um die Welt.
Wenig erinnert an 2018
An jene sensationelle Stimmung erinnert nach Spielschluss lediglich ein Video auf der Stadionleinwand. Und die Spieler singen für sich: «Fuessball-Schwiizer-Meischter BSC!» Es ist einer dieser Momente, in denen besonders spürbar ist, wie sehr Fans fehlen. Gleich emotional wäre dieser Titel aber auch mit Fans nicht: YB als Meister, das ist längst Normalität.
Der erste Meistertitel seit drei Jahrzehnten sorgte für eine Wachablösung im Schweizer Fussball. Der vorherige Liga-Dominator FC Basel wurde von den Young Boys abgelöst. 2019 feierte YB auf dem Sofa den Titel, 2020 mit einem Sieg beim FC Sion. Nun 2021 folgt der zweite Titelgewinn im heimischen Stadion. Dieser letzte Schritt zum Titel, der 3:0-Sieg gegen Lugano, steht sinnbildlich für die überzeugende Saison. Sieben Runden vor Schluss führen die Berner die Tabelle mit unglaublichen 24 Punkten an, das Torverhältnis steht bei +35.
Viel knapper an der Spitze der Liga war die Situation vor einem Jahr. Damals musste YB um den Titel kämpfen, weil der euphorisierte FC St. Gallen und auch der FC Basel für einen Dreikampf an der Spitze sorgten. Nur dank einem starken und beeindruckenden Schlussspurt nach dem Corona-Re-Start krönten sich die Young Boys dennoch vorzeitig zum Schweizer Meister.
Dem Rest der Liga fehlt die Qualität
Doch von starken Verfolgern wie damals ist die Liga weit entfernt. Beim natürlichen Kontrahenten FC Basel wurde in den letzten Wochen und Monaten häufiger über die Besitzverhältnisse diskutiert als über gewonnene Partien. Und der Rest der Super League verfügt spätestens seit der Coronakrise nicht über die Qualität, die Berner auch nur annähend herauszufordern. Das zeigt die Tatsache, dass nach 29 Runden Basel auf Platz zwei nur zehn Punkte vor dem Neunten FC Vaduz liegt.
Mehr Spiele als jedes andere Team – aber der Einbruch folgt nicht
Wenn YB-Captain Fabian Lustenberger erklärt, dass der Meistertitel trotz schwacher Konkurrenz genau so viel bedeutet wie in den letzten drei Jahren, hat er recht. Denn trotz schwierigen Vorzeichen hat sich im YB im Vergleich zum Vorjahr nochmals gesteigert. Das liegt an geschickten Transfers von Sportchef Christoph Spycher und an Trainer Gerardo Seoane. Denn in dieser besonderen Corona-Saison bestritten die Young Boys mehr Spiele als jeder andere Schweizer Klub – dank europäischem Erfolg. Trotz verpasster Qualifikation zur Champions League sorgte YB mit dem Einzug ins Europa-League-Achtelfinal und dem Sieg gegen Leverkusen für einen grossen Erfolg. Gleichwohl sind die Hauptstädter in der Liga nie eingebrochen und souverän vorne wegmarschiert.
Gerardo Seoane schaffte es mit Rotationen stets, jene Frische auf den Platz zu bringen, die es braucht. Am offensichtlichsten zeigte sich dies in der Position der Stürmer, in der sich Jean-Pierre Nsame und Jordan Siebatcheu abwechselten – und regelmässig trafen.
Zudem konnte Seoane das breite Kader richtig moderieren. Er sagt nach dem gewonnen Meistertitel: «Es ist ein Erfolg für die YB-Familie.» Der Zusammenhalt dieser aussergewöhnlichen Mannschaft ist spürbar, auch wenn viele Ersatzspieler dazu eigentlich zu gut wären. Stattdessen haben die Auftritte von YB in dieser Saison eine Selbstverständlichkeit des Sieges, wie man sie sonst nur von Bayern München kennt. Das einstige Versagen YBs mit dem Wort «Veryoungboysen» ist längst verstaubt.
Was also spricht dafür, dass YB bald an Dominanz in der Liga einbüsst? Wahrscheinlich nur ein Ausverkauf. Nicht nur Spieler wie Jean-Pierre Nsame, David von Ballmoos oder Christian Fassnacht könnten dereinst den Weg ins Ausland antreten, sondern auch die beiden Macher des Erfolgs. Seoane und Spycher sind ins Visier von Vereinen aus den Top-Ligen geraten. Dass beide bisher keine Anzeichen für einen Weggang gaben, ist gut für die Young Boys. Für die Konkurrenz weniger.
Publiziert in den Tageszeitungen von CH Media: Hier der Link