Panama darf zum ersten Mal an eine Weltmeisterschaft – wegen eines Tors, das eigentlich gar keines war. Der Vorfreude tut dies keinen Abbruch.
«Oh, wie schön ist Panama»: Der kleine Bär und der kleine Tiger machen sich auf nach Panama, ihr Land der Sehnsucht. Das Buch von Janosch erzählt eine der bekanntesten Kindergeschichten überhaupt. Eine ähnlich grosse Fantasie wie in der Geschichte mit der Tigerente braucht es auch, um zu verstehen, was an jenem 10. Oktober 2017 in Panama passierte. Damals feierte das kleine, schmale Land in Mittelamerika den grössten Erfolg seiner Fussballgeschichte: die Qualifikation für eine Weltmeisterschaft. Tagelang feierte das Volk, Präsident Juan Carlos Varela erklärte den Folgetag des Spiels, den 11. Oktober, zum Nationalfeiertag und twitterte: «Zelebriert diesen historischen Tag! Das ist euer Tag! Es lebe die Mannschaft! Es lebe Panama!»
Dabei wäre alles anders gekommen, wäre Walter Lopez weniger fantasievoll. Er, der Schiedsrichter aus Guatemala, hatte in der 53. Minute des allesentscheidenden Spiels zwischen Panama und Costa Rica ein Tor erfunden. Nach einem Eckball Panamas kam es zu einer unübersichtlichen Szene, irgendwie bugsierte der ehemalige Lausanne-Stürmer Gabriel Torres den Ball in Richtung Tor. Er wurde später als Torschütze zum 1:1 gefeiert. Auf den Fernsehbildern war jedoch deutlich zu erkennen, dass der Ball die Linie nie und nimmer überschritten hatte. Und weil Innenverteidiger Roman Torres in der 88. Minute mit einem Volleyschuss sogar noch wirklich ins Netz traf, überholte Panama die USA im letzten Moment und qualizierte sich damit erstmals für eine WM. Ein Freudentag für «das Land der Sehnsucht».
Panamas Team will Europa-Reise gleich doppelt nutzen
An seiner ersten Fussballweltmeisterschaft trifft Panama im Sommer auf Belgien, England und Tunesien. Am Donnerstag testete man in der Vorbereitung auf das grosse Highlight bereits gegen Dänemark (0:1), heute steht für die Elf von Nationaltrainer Hernán Gómez der Test gegen die Schweiz an. Die beiden Gegner sollen die europäischen WM Gegner Panamas, also England und Belgien, simulieren. Bei Panama spielen die meisten Spieler in der amerikanischen MLS, in Mexiko oder Chile. Der mittelamerikanische Fussball sei völlig anders als der europäische, sagte Nationaltrainer Gómez an der gestrigen Pressekonferenz in Luzern. «Wir wollen hier den europäischen Fussball kennen lernen.»
Zu sehr wolle man sich aber dann doch nicht dem europäischen Fussball anpassen. «Die europäischen Spieler mögen kraftvoller und schneller sein, aber auch wir Mittelamerikaner haben unsere Stärken, allen voran unsere Moral und die Tatsache, dass wir immer den Ball haben wollen. Bei Panama kommt noch dazu, dass wir taktisch sehr gut ausgebildet sind.» Tatsächlich gilt das Nationalteam Panamas nicht nur als spielstark, wie man es von südländischen Teams gewohnt ist, sondern auch als taktische und kämpferische Mannschaft. Gegen Dänemark waren die Panamaer teilweise überhart, Stürmer Blas Pérez holte gar eine rote Karte. «Das hat uns selber auch nicht gefallen», sagt dazu der Nationaltrainer. «Unser Ziel ist es, schönen Fussball zu zeigen und trotzdem gegen die Europäer dagegenzuhalten.»
Die Europa-Reise nutzen die Mittelamerikaner übrigens nicht nur als fussballerische Weiterbildung, sondern auch als Kulturreise. Als Vorbereitung auf das Spiel gegen die Schweiz machten die Panamaer einen Abstecher auf den Bürgenstock. «Wir wollen auch die Kultur der Länder kennen lernen, in die wir als Fussballprofis reisen dürfen. Das gehört zum Reifeprozess der Mannschaft, und wir haben einen fantastischen Eindruck von der Schweiz und der Stadt Luzern gewonnen», sagt Gómez.
Nach der erstmaligen Qualifikation für die WM ist die Fussballeuphorie im kleinen Land riesig. «Jeder freut sich auf die erste Weltmeisterschaft. Wir sind sehr stolz», sagt Gómez, der trotz aller Euphorie realistisch bleibt: «Wir gehen als grosser Aussenseiter an die WM. Es geht für uns vor allem darum, Erfahrung zu sammeln.» Doch, wer weiss, viel leicht ist an der Weltmeisterschaft sogar mehr möglich für Panama. An der Fantasie dürfte es nicht fehlen.