Lara Dickenmann streift am Sonntag zum letzten Mal das Trikot Wolfsburgs über. Boris Streubel / Getty (Wolfsburg, 18. März 2021)

Lara Dickenmann im grossen Rücktritts-Interview: «Profifussballerin zu werden, war eigentlich unvorstellbar»

Sie prägte den Frauenfussball wie keine andere Schweizerin vor ihr. Nun tritt Lara Dickenmann ab. Grosse Träume hat die Krienserin noch immer – in neuer Funktion.

Am Sonntag tritt das Gesicht des Schweizer Frauenfussballs der letzten zwei Jahrzehnte ab. Lara Dickenmann bestreitet gegen Bremen ihr letztes Spiel mit dem VfL Wolfsburg. Dem Fussball möchte sie aber erhalten bleiben. Denn es gibt noch viel zu tun.

Ihr Rücktritt als Profifussballerin steht vor der Tür. Mit welchen Gefühlen treten Sie ab?

Lara Dickenmann: Mit sehr positiven. Anfangs Saison bin ich eigentlich mit dem Ziel gestartet, eine weitere Vertragsverlängerung bei Wolfsburg zu erhalten. Aber es hat sich rasch abgezeichnet, dass dies nicht der Fall sein wird. Da meine Ehefrau Anna Blässe einen neuen Vertrag erhielt, hat es sich für mich so entwickelt, dass es für mich gut ist, die Karriere zu beenden. Wäre ich Single, wäre ich bestimmt noch nicht zurückgetreten. Ich hätte es mir vorstellen können, noch ein weiteres Abenteuer zu wagen: Spanien oder Japan hätten mich gereizt.

Stattdessen wechseln Sie in eine Funktion neben dem Platz: Bei den GC-Frauen übernehmen Sie die Stelle als General Manager.

Als die Anfrage kam, stand ich dem kritisch gegenüber, aber die Verantwortlichen haben mich überzeugt. Mich reizt es, etwas im Schweizer Frauenfussball aufzubauen. Da es den DFC Sursee nicht mehr gibt, der SC Kriens kein Team in der höchsten Liga hat und ich nur ein Jahr beim FCZ gespielt habe, fehlt für mich ein Stammklub. Ich freue mich auf die Aufgabe, die eine grosse Herausforderung wird. Zunächst handelt es sich um ein 50-Prozent-Pensum. Da ich zunächst in Wolfsburg wohnhaft bleibe, funktioniert vieles mit dem Telefon und mit virtuellen Sitzungen.

Als Spielerin prägten Sie den Schweizer Frauenfussball. War es für Sie klar, dass Sie das auch nach der Karriere möchten?

Die Entwicklung des Frauenfussballs liegt mir am Herzen. Was ich positiv verfolge ist, dass immer mehr Frauen im Frauenfussball Funktionen übernehmen. Zum Beispiel Tatjana Hänni im Verband oder Patricia Willi und Sandra Egger beim FC St. Gallen als Sportchefinnen. Nichts gegen Männer: Die machen das toll. Aber es ist ein Kampf, den wir Frauen austragen müssen. Deshalb wünschte ich mir eine solche Aufgabe im Schweizer Frauenfussball.

Woran fehlt es noch bei der Gleichberechtigung im Fussball?

Oft wird vom Lohn gesprochen, aber es sind auch die Möglichkeiten, die für Mädchen und Frauen kleiner sind. Daran müssen wir arbeiten. Es liegt an uns Frauen, die Ausbildungen zu machen, die man braucht – etwa um als Cheftrainerin in einer höchsten Liga zu arbeiten. Es ist normal, dass Männer im Frauenfussball arbeiten, andersherum ist es noch sehr ungewohnt. Das soll sich ändern. Aber mir selber würde ich nun nicht zutrauen, den Weg in den Männer-Fussball zu machen. Ich kenne die Strukturen nicht, habe im Gegensatz zum Frauenfussball kein Netzwerk.

Den Schritt von Florence Schelling, die beim SC Bern Sportchefin wurde und inzwischen entlassen wurde, würden Sie nicht machen?

Nein, zum jetzigen Zeitpunkt würde ich das nicht. Aber als sie sich für den Schritt entschied, fand ich das super. Ich finde es richtig, wenn man Frauen nach der Karriere einbinden möchte.

Sie sind früh aufgefallen: 1999 erschien ein Artikel, in dem Sie als Spielerin der D-Junioren des SC Kriens porträtiert wurden. Schon in jenem Artikel sagte ihr Trainer, dass Sie Nationalspielerin werden.

Ich weiss vor allem noch, dass mir dieser Artikel damals sehr unangenehm war. Die Jungs mussten mich für das Foto in die Luft stemmen und ich dachte mir, dass sie wohl keine Lust dazu haben. Aber grosse Gedanken über meine Karriere habe ich mir damals nicht gemacht. Ich habe nicht gewusst, was im Frauenfussball überhaupt möglich ist. Ich wusste nicht einmal, dass es auch ein Frauen-Nationalteam gibt. Ich war auch nie die Beste in der Mannschaft, da ich mit Claudio Lustenberger zusammenspielte. Mein Ziel war es immer, mehr Tore als er zu schiessen, aber das ist mir leider nie gelungen. Selbst als ich in den ersten vier Spielen 20 Tore geschossen habe, hat er mich Ende Saison noch überholt.

Während Lustenberger vom Beruf Profifussballer träumen konnte und dies beim FC Luzern auch wurde, konnten Sie als Mädchen eigentlich nicht davon träumen.

Als Kind habe ich sogar in Freundesbücher geschrieben, dass ich einmal Profifussballerin werden möchte. Aber ich glaube, ich habe damals gar nicht realisiert, dass dies als Mädchen schwierig ist. Mit 15 habe ich den Wunsch tatsächlich mal in einem Video gesagt. Aber ich weiss noch, dass mir dies danach peinlich war. Denn als Frau Profi zu werden, war unvorstellbar.

Sie wurden dennoch Profifussballerin und haben Erfolge auf allerhöchster Stufe gefeiert. Wie ist es dazu gekommen?

Irgendeinmal ist das Thema College aufgekommen, ich erhielt Angebote für ein Stipendium. Nach Amerika zu gehen, war für mich ein super Schritt. Und als ich wieder nach Europa kam, gab es plötzlich Profispielerinnen. Ich bin da irgendwie reingerutscht, da Lyon damals begann viel Geld in das Frauenteam zu investieren. Wir hatten rasch ein sehr gutes Team und konnten zweimal die Champions League gewinnen.

Sie wechselten 2015 dennoch zu Wolfsburg. In der Folge holte Lyon fünf Titel in der Champions League in Folge. War der Transfer nach Deutschland ein Fehler?

Ich hätte wohl noch mehr Titel holen können, wäre ich bei Lyon geblieben. Aber vielleicht hätte Lyon dann keine Titel mehr geholt, das weiss man nie. Den Transfer wollte ich zu jenem Zeitpunkt unbedingt. Für mich als Mensch war dies ein wichtiger Schritt. Es ist schön für mich, zu einem Verein zu kommen, dem Vielfalt und Toleranz wichtig ist. Ich war mir sicher, dass mir ein Wechsel zu so einem Klub mehr für die Zukunft bringt, als in Lyon zu bleiben. Und schon nur weil ich in Wolfsburg meine Ehefrau kennen gelernt habe, war der Wechsel richtig.

Mit 13 haben Sie festgestellt, dass Sie von Frauen angezogen werden, öffentlich geoutet haben Sie sich aber erst 2018. Warum?

Meinem engsten Umfeld habe ich mit 17 geoutet. In der Öffentlichkeit hat es aber lange nicht gepasst, weil etwa meine damalige Partnerin dies nicht wünschte. Bei Wolfsburg im Team habe ich viele kennen gelernt, die offen mit dem Thema umgegangen sind. Dadurch habe ich festgestellt: Es ist wichtig, dass wir darüber sprechen. In meiner Jugend habe ich es vermisst, dass ich eine Identifikationsfigur hatte, die lesbisch ist. Dann hätte ich mich wohl schneller akzeptieren können und gesehen, dass lesbisch sein möglich ist. In der Jugend wusste ich nicht, ob ich richtig oder falsch bin. Ich habe immer gedacht, ich muss mal einen Mann heiraten, damit alle glücklich sind.

Inzwischen sind Sie nicht nur verheiratet, sondern sprechen auch öffentlich über ihre Beziehung.

Ich mache das nicht, weil ich unbedingt intime Details teilen möchte. Aber ich glaube, dass diese Aufklärungsarbeit nötig ist. Eigentlich ist mir das ganze etwas unangenehm. Als der SRF-Beitrag über mein Outing herauskam, fühlte ich mich nackt. Im Optimalfall würde ich mich nicht so äussern müssen.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Frauen-Nationalmannschaft?

Das Nationalteam ist nach einem grossen Umbruch sehr jung. Die Situation ist vergleichbar mit der Qualifikation zur EM 2013, als wir nach einem Umbruch viele junge Spielerinnen hatten. Doch die Generation jetzt ist weiter, die Qualifikation gelang trotz der Tatsache, dass es ein sehr junges Team ist. Ich bin sehr gespannt, wo die Reise dieses Teams noch hingeht. Denn es verfügt über viele grosse Talente, etwa mit Malin Gut, Riola Xhemaili oder Géraldine Reuteler. Die Entwicklung stimmt.

Für diese Spielerinnen galten Sie in der Jugend als Vorbild. Macht Sie das stolz?

Das freut mich natürlich. Zu meiner Zeit war das mit den Vorbildern noch so eine Sache. Ich bewunderte zwar die amerikanischen Spielerinnen, etwa Mia Hamm, aber sie war schon sehr weit weg. Wenn die jungen Spielerinnen sehen, dass Schweizerinnen gute Karrieren machen können, gibt dies nochmals deutlich mehr.

Zur Person

Lara Dickenmann (35) prägte zwei Jahrzehnte lang den Schweizer Frauenfussball. Sie bestritt 135 Länderspiele und ist Rekordnationalspielerin. 2019 trat sie aus dem Nationalteam zurück. Die Krienserin spielte beim DFC Sursee, ehe sie an der Ohio State Universität in Columbus ein Stipendium erhielt. Nach ihrem Studium wechselte sie zum FC Zürich, ehe sie bei Lyon einen Profivertrag erhielt. Mit den Französinnen gewann Dickenmann zweimal die Champions League. 2015 kam der Transfer zu Wolfsburg. Dickenmann ist mit Mitspielerin Anna Blässe (34) verheiratet. 

Publiziert in der Schweiz am Wochenende: Hier der Link