Im Scheinwerferlicht: Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann. (Bild: Red Bull)

Leipzig will den Kreis schliessen

Elf Jahre nach der Vereinsgründung ist RB Leipzig Titelkandidat in der Bundesliga. Das liegt auch an Trainer Julian Nagelsmann.

Dieser Artikel wurde am 17. Januar 2020 in insgesamt 21 verschiedenen Zeitungen publiziert, unter anderem in der Aargauer Zeitung, dem St. Galler Tagblatt und der Luzerner Zeitung. 

Julian Nagelsmann wählt seine Worte bewusst. Worte, welche die Euphorie bremsen sollen. Auch wenn die Chancen so gut wie noch nie stehen, dass eine ostdeutsche Mannschaft die Bundesliga gewinnen könnte, will der Trainer von Rasenballsport Leipzig davon nichts wissen. «Wir sind noch nicht gut genug für den Titel. Dazu muss sich noch einiges entwickeln», sagte er der «Bild». Während sein Team von den Medien zum aussichtsreichsten Titelkandidaten ernannt wird, will er die Erwartungen nicht in die Höhe treiben. Stattdessen meint er, Leipzig sei lediglich deshalb an der Tabellenspitze, weil die Konkurrenz nicht gut performt habe.

Falsch ist diese Aussage gewiss nicht. Bayern München und Dortmund haben im Herbst geschwächelt, agierten enorm inkonstant. Dies als Grund für die Tabellenführung Leipzigs anzugeben, wäre aber falsch. RB hat im Herbst schlicht den schönsten, besten und erfolgreichsten Fussball Deutschlands gespielt. Sowohl die Champions-­League-Gruppenphase als auch die Bundesliga-Hinrunde haben die Leipziger auf Rang eins abgeschlossen. Dank ihrer offensiven Ausrichtung überzeugten sie selbst überzeugte Kritiker des umstrittenen Vereins. Und zum Ende der Vorrunde stellten sie gar einen Bundesligarekord auf; in acht Spielen in Folge erzielten sie drei Tore. Insbesondere gegen die kleineren Mannschaften hatte RB keine Mühe. Gegen alle Teams der unteren Tabellenhälfte siegte Leipzig – meist hoch.

Leipziger Taktik verfeinert mit Hoffenheimer Ballbesitz

Und so kommt es, dass laut Statistik Leipzig im Sommer erstmals die Meisterschale in die Höhe recken kann. In 68 Prozent der Fälle holt der Herbstmeister im Sommer nämlich auch den Titel. Und gemäss einer Umfrage des «Kicker» sieht auch die Mehrzahl der Profifussballer Leipzig als Champion.

Von solchen Prognosen hält Nagelsmann wenig. Die Rolle des Favoriten gibt er lieber ab und spielt sie den Bayern zu. Es ist ein geschickter Schachzug, um weiterhin in Ruhe arbeiten zu können. In Ruhe arbeiten, das konnte das 32-jährige Trainertalent insbesondere in den letzten Jahren bei der TSG Hoffenheim. Im Sommer folgte der Transfer nach Leipzig, wo er schon nach einem halben Jahr in neue Sphären aufgestiegen ist. Der Taktiker gilt als kommender Trainersuperstar, sein Weg geht weiter steil nach oben.

Dabei schienen die Leipziger Fussballschule und der Nagelsmann-Fussball zunächst wenig kompatibel. Mit Hoffenheim liess er zwar ebenfalls offensiv spielen, setzte dabei aber auf viel Ballbesitz und auf eine Verspieltheit, die oft in einer mangelhaften Chancenverwertung mündete. Leipzigs Fussball dagegen zeichnete sich seit Jahren durch Umschaltmomente, vertikale Zuspiele, hohes Pressing und dem schnellen Zug zum Tor aus. Den Ball aber, den wollten die Leipziger lieber nicht. Wer vor der Saison annahm, Nagelsmann könne diese unterschiedlichen Ausrichtungen schwer miteinander vereinen, sah sich rasch eines Besseren belehrt. Anfänglich zeigten sich zwar Schwierigkeiten und Nagelsmann musste von seinem geliebten 3-5-2 auf ein 4-4-2 abweichen, doch rasch schaffte er es, seine Vorstellungen ins Leipziger Spiel zu bringen. Inzwischen ist es varianten­reicher und schwerer auszurechnen.

Als 2009 letztmals eine andere Mannschaft als Bayern Müchen oder Dortmund zur Saisonmitte die Bundesliga anführte, war Rasenballsport Leipzig ein halbes Jahr alt. Angetreten ist der neugegründete Verein damals in der fünftklassigen Oberliga Nordost, nachdem RB das Startrecht des klammen SSV Markranstädt abgekauft hatte. Das Ziel: dank eines erfolgreichen Vereins Werbung für die Firma Red Bull zu machen. Der Verein gilt seither als Inbegriff des kommerziellen Fussballs. Eine Tatsache, die Fans gegen RB aufbringt. Auch für den Rückrundenauftakt haben die Gästefans von Union Berlin eine Protestaktion geplant.

Sportlich ging der Plan von RB indes schnell auf. Nach vier Aufstiegen in sechs Jahren spielt Leipzig seit 2016 in der Bundesliga und ist in dieser Saison zum zweiten Mal in der Champions League vertreten. Möglich war dies dank finanzieller Mittel, die in ihrer ­jeweiligen Liga ihresgleichen suchten. Doch Leipzigs Chance, in dieser Saison den Titel zu gewinnen, liegt nicht nur bei investierten Millionen, wie die Transferausgaben zeigen. Vor dieser Saison haben nicht nur Dortmund und die Bayern, sondern auch Bayer Leverkusen und Eintracht Frankfurt mehr Geld für neue Spieler ausgegeben.

Viele junge Spieler, aber ohne eigene Nachwuchsspieler

Das vorhandene Geld investieren die Sachsen geschickt. Sie verfolgen eine Strategie, holen sich talentierte Spieler. Wie langfristig diese Strategie ist, zeigt sich, wenn man sich die letzten Duelle mit Union Berlin anschaut. In der 2. Bundesliga im Februar 2016 standen mit Poulsen, Sabitzer, Forsberg, Klostermann, Halstenberg, Orban, Gulacsi und Demme nicht weniger als acht Spieler auf dem Feld, die auch beim Hinrundenduell in dieser Saison zum Einsatz kamen. Demme wechselte nun für rund 10 Millionen Euro zu Napoli.

Solche Transfers sollen Erlöse generieren, die wieder in Talente gesteckt werden sollen. Im Sommer holte Leipzig mit Christopher Nkunku und Patrik Schick weitere Verstärkungen. Darunter leidet jedoch die eigene Jugend. Trotz teurem Nachwuchsleistungszentrum kommt Leipzig noch ohne eigene Spieler aus. Zudem spielte bei RB kein einziger ostdeutscher Fussballer.

Trotzdem würde sich für die Stadt mit dem Titelgewinn ein Kreis schliessen. Der erste deutsche Meister 1903 hiess ebenfalls Leipzig. Damals holte der VfB seinen ersten von drei Meistertiteln. Über hundert Jahre später könnte es wieder zu einer gesamtdeutschen Meisterschaft für Leipzig kommen. Auch wenn Julian Nagelsmann noch nicht daran glauben mag.

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