Bronze medalist Mathilde Gremaud of Switzerland celebrates during the medal ceremony for the women's freestyle skiing big air at the 2022 Winter Olympics, Tuesday, Feb. 8, 2022, in Beijing. (AP Photo/Natacha Pisarenko)

Olympia-Bronze als Geburtstagsgeschenk

An ihrem 22. Geburtstag holt sich Mathilde Gremaud im Big Air ihre zweite olympische Medaille. Wie vor vier Jahren ist sie am Tag X bereit.

Mathilde Gremaud kann ihre Emotionen kaum in Worte fassen. In ihren Augen Tränen, vor ihrem Mund ein TV-Mikrofon. Sie sagt: «Es ist einfach zu gut. Und das alles an meinem Geburtstag. Es fühlt sich so toll an wie bei der ersten Medaille.»

Gremaud hat es wieder getan. Vor vier Jahren holte sie beim ersten olympischen Slopestyle-Wettkampf hinter Teamkollegin Sarah Höfflin Silber, nun gewinnt sie beim ersten olympischen Big-Air-Wettkampf Bronze. Wieder ist sie am Tag, an dem es zählt, bereit. Im zweiten Run setzt sie einen Doppel-Salto mit zwei Schrauben perfekt in den Schnee. Dass sie später beim dritten Versuch stürzt: halb so schlimm.

Sie hatte dort versucht, ihre ohnehin tolle Klassierung mit einem noch schwierigen Trick zu verbessern. «Doch ich war ein bisschen verloren in der Luft», sagt sie später an der Medienkonferenz. «Hätte ich den Trick gestanden, hätte noch ein besseres Resultat herausschauen können.» So geht Gold an Eileen Gu, die in den USA geborene Chinesin, und Silber an die Französin Tess Ledeux. Gremaud sagt: «Ich bin megahappy, wie es ist. Es ist unglaublich.» Dass sie ausgerechnet an ihrem Geburtstag eine Olympiamedaille holte, bezeichnete sie als «grösstes Geschenk».

Immer wieder Stürze auf den Kopf
Gremaud hat wieder geliefert. Dabei hätte die Vorgeschichte kaum schwieriger sein können. Wie schon vor vier Jahren war der Start in die Olympiasaison verzwickt. Damals war sie gerade rechtzeitig auf Pyeongchang nach einem Kreuzbandriss fit geworden und am Tag vor dem Contest auf einem Rail auf den Kopf gestürzt und in ein Spital gefahren worden. Am Folgetag fühlte sie sich besser, holte Silber und sagte später: «Danach spürte ich nichts mehr. Ich machte viel Party.»

Auch in dieser Saison sind es Stürze auf den Kopf, die Gremaud den Start in die Saison vermiesen. Zweimal stürzte sie und erlitt eine Gehirnerschütterung. Nach einer einwöchigen Behandlung in einer Spezialklinik in Denver wagte sie sich langsam zurück. Anders als vor vier Jahren reichte es immerhin für zwei Wettkämpfe vor den Spielen. An den X-Games holte sie im Slopestyle Silber. Und am Tag X ist sie auch im Big Air mit Pauken und Trompeten zurück auf dem Olympia-Podest.

Gremaud hat wieder bewiesen, dass sie weniger Trainingssprünge als andere braucht, um unter die Besten zu springen. Sie gilt als koordinatives Megatalent, das anders als die meisten ihrer Konkurrentinnen schon früh zu ihrem Sport gefunden hat. Die Bewegungen und Abläufe scheinen verinnerlicht.

Im kleinen Dorf La Roche im Greyerzerland aufgewachsen findet sie im Skigebiet La Berra ihre Passion. Mit Jungs baut sie gemeinsam Schanzen. Geländer, Boxen, Kicker: Alles Mögliche nehmen die Kinder, um drüber zu springen und dabei so cool wie möglich auszusehen. Slopestyle nennt sich dies heute. Zu Hause besitzen die Gremauds ein Trampolin, wo Mathilde schon früh den Vorwärts- und Rückwärts-Salto lernt und so einen Grundstein für eine grosse Freestyle-Karriere legt.

Später geht Gremaud für vier Jahre nach Engelberg, an die Sportmittelschule und macht 2020 die Matura – notabene zwei Jahre nach ihrer ersten Olympiamedaille. An der Weltspitze ist sie schon mit 16. «Alles, was ich probiert habe, ist gelungen», sagt sie. 2021 in Aspen wird sie Weltmeisterin im Slopestyle, im Big Air gewinnt sie 2019 und 2021 die X-Games.

Gremaud gilt nicht nur als grosses Talent, sie ist auch äusserst beliebt. Das wird deutlich, als Teamkollegin Sarah Höfflin, die selber nur Sechste wurde, sich emotional zeigte: «Ich freue mich sehr für sie. Mathilde verdient diese Medaille einfach.» Eine weitere Teamkollegin, Giulia Tanno, die wegen einer Verletzung die Spiele verpasst hatte, schrieb in ihrer Instagram-Story: «Ein Idol in so vielen Dingen. Ich bin so stolz.» Und auf Schweizerdeutsch fügte sie an: «Easy guet für dis Alter.»

«Easy guet» ist Gremaud auch im Slopestyle. Dort zählt sie im möglichen Final am Montag zu den Mitfavoritinnen. Mathilde Gremaud wird wieder alles daran setzen, am Tag X zu liefern. Eine olympische Medaillenfarbe fehlt ihr ja noch.

Publiziert in den Zeitungen von CH Media am 9. Februar 2022: Hier der Link