Nach einer Darmkrebserkrankung ist Nikolaj Hänni wieder gesund und darf das sein, was er am liebsten ist: Schiedsrichter. Im Sommer ist dennoch Schluss mit seiner Karriere im Profisport.
Der Schiedsrichter hat es nicht leicht. Er steht erst bei einem Fehler im Zentrum, wird dafür öfter mal angefeindet. Für Nikolaj Hänni gibt es dennoch nichts Schöneres. Er sagt: «Es ist mein allergrösstes Hobby. Ich liebe es einfach.» Umso mehr liebt er es jetzt, nachdem er sich eineinhalb Jahre lang zurückgekämpft hat in die höchste Liga der Schweiz.
Nikolaj Hänni fühlt sich fit im Oktober 2019. Den Ausdauertest Yo-Yo besteht er mit Bravour. Zwar bemerkt er einmal Blut im Stuhl, macht sich darüber aber keine grösseren Gedanken. «Ich hatte keinerlei Beschwerden», so der 45-jährige Rheintaler. Während eines Routineuntersuchs beim Sportarzt berichtet er dennoch davon. Nach einer vorsorglichen Darmuntersuchung lautet die Diagnose: Darmkrebs.
Die erste Frage: Wie lange noch?
Als Hänni im Spital wieder zu sich kommt, hört er das Wort Krebs, er hört wieder weg. Später, als seine Frau dabei ist, fragt er den Arzt: «Wie lange noch?» Hänni kann sich später nicht mehr an diese Aussage erinnern. Er sagt, Angst um sein Leben habe er nie gehabt. Dennoch schläft er schlecht, macht kaum ein Auge zu.
Neun Tage nach der Diagnose leitet er noch einmal eine Partie in der Super League. Er hat nach wie vor keine Beschwerden. «Wahrscheinlich wären erste Symptome erst mehrere Monate später aufgetreten, dann wäre die Heilungschance wohl schlechter gewesen», sagt Hänni. Am 4. März 2020 wird er operiert. Den Eingriff übersteht er gut, die Chemotherapie ebenso. Nur mit der Bestrahlung hat Hänni seine Mühe, die letzten zwei Wochen sind anstrengend. «Ich hatte immer ein Brennen, ein Zucken, ein Ziehen. Es war nicht richtig schmerzvoll, aber sehr unangenehm.»
Der Krebs soll nicht bestimmen
Für Nikolaj Hänni ist rasch klar: So hört er nicht auf. «Ich lasse mir nicht vom Krebs bestimmen, wann meine Schiedsrichter-Karriere zu Ende ist», sagt er. Sein Ziel ist, noch einmal in der Super League zu pfeifen. 187 Partien in der höchsten Schweizer Spielklasse hat er bis dahin geleitet, für seine 188. Partie muss er kämpfen.
Der Kampf zurück auf den Fussballplatz ist auch zeitlich ambitioniert. Hänni weiss, dass er ab diesem Sommer keine Spiele mehr leiten darf in der höchsten Liga. Die Altersgrenze für Schiedsrichter liegt bei 45 Jahren. Bedeutet: Ende Saison ist Schluss. «Für mich war trotzdem klar, dass ich unbedingt nochmals in der Super League pfeifen möchte. Dies war mein Ankerpunkt.» Am 28. Februar gibt er sein Comeback in der höchsten Spielklasse.
Ende Saison leitet Nikolaj Hänni seine letzte Super-League-Partie. Und dann? «Ich höre sicher nicht auf», sagt er. «Ich pfeife dann super gerne in der 5. Liga oder bei den Senioren», sagt er. Doch die langen Reisen, die möchte er nicht mehr. «Alles muss in Velodistanz liegen.» Zudem ist auch ein Engagement beim SFV möglich, in der Ausbildung von Schiedsrichter oder weiterhin als Videoschiedsrichter.
Zurück in den Sport mit Walkingstöcken
Den Weg zurück auf den Fussballplatz hätte Nikolaj Hänni ohne Unterstützung nicht geschafft. Da ist der Schiedsrichterkollege, der im Aufbautraining auch bei Minustemperaturen die Laufzeiten von Hänni misst. Da ist der Verband, der die letzten Spiele in der Super League möglich machen möchte. Und da ist die Familie, die viel Rückhalt gibt. Die 3-jährige Tochter habe manchmal gespürt, dass etwas nicht stimme. In dieser Zeit braucht Hänni seine Tochter mehr als sie ihn.
Langsam findet er wieder zurück in den Arbeitsalltag als Bautechniker in Liechtenstein. Zunächst nur halbtags, später kommt Hänni wieder auf sein gewohntes Pensum von 80 Prozent. Bald amtet er wieder als Videoschiedsrichter. Und auch sportlich geht es langsam bergauf. Zum Joggen ist er zu Beginn noch zu schwach, er greift zu Walkingstöcken. «Früher lachte ich über jene mit solchen Stöcken. Aber ich merkte schnell: Das macht eigentlich noch Spass.» Bald einmal sitzt Hänni wieder auf dem Velo, später joggt er wieder.
Hänni musste schon vieles einstecken
Als Schiedsrichter ist Hänni ein oft kritisierter Mann. Mehrfach wird er in Boulevardmedien an den Pranger gestellt, Fans pfeifen ihn aus. «Damit kann ich umgehen», sagt Hänni. «Das sind die Nebenerscheinungen, wenn man Schiedsrichter ist.» Hänni hat gelernt, mit Fehlern umzugehen, sie zu akzeptieren, aber sie trotzdem verhindern zu wollen. Auf dem Platz mag er weniger schlagfertig sein als seine jüngeren Kollegen. Er ist den Spielern gegenüber wenig jovial, dafür hat er seinen klaren Stil. Klare Entscheide, klare Gesten.
Nikolaj Hänni entdeckt seine Liebe zum Fussball in der Jugend. Beim FC Staad kickt er, ist aber mässig talentiert. Als im Verein die Schiedsrichter ausbleiben, übernimmt Hänni die Aufgabe. Nach einem C-Junioren-Spiel wird er von Zuschauern so heftig beleidigt, dass er hinschmeissen will. Bei der nächsten Partie wird er gelobt, die Motivation ist zurück. Gesteigert wird diese durch einen Autounfall. Hänni erleidet Brüche am Kiefer und an beiden Füssen. Danach schwört er sich, als Schiedsrichter Karriere zu machen. Es gelingt. Ab 2007 pfeift er in der Super League, ab 2011 ist er Fifa-Schiedsrichter. 2015 leitet er den Cupfinal zwischen Basel und Sion.
Die DVD und das Skandalspiel
Wenn Nikolaj Hänni seine Schiedsrichter-Karriere im Sommer beendet, öffnet er eine gute Flasche Wein. Er wird eine DVD in den Player schieben und eine Zeitreise antreten.
Der Film spielt am 10. April 2009 in Österreich. Abstiegskampf. Mattersburg gegen Altach. Geleitet von Nikolaj Hänni. Es ist ein Skandalspiel, am Schluss steht es 5:4. Hänni übersieht einen klaren Penalty, ihm entgleitet die Spielführung komplett. Bis heute hat er sich dieses Spiel nicht angeschaut. Nach seiner letzten Profipartie möchte er mit jenem Auftritt Frieden schliessen.
Publiziert in der Schweiz am Wochenende: Hier der Link