Die Mountainbike-Normalität wieder hergestellt: Nino Schurter wird einmal mehr Weltmeister, Mathias Flückiger holt wieder nur Silber. Die Geschichte wiederholt sich, und doch ist vieles anders.
Eigentlich ist es wie immer. Gold für Nino Schurter, Silber für Mathias Flückiger. Zum neunten Mal wird Schurter Weltmeister, Flückiger wird zum vierten Mal nacheinander an einem Grossanlass Zweiter.
Eine Karriere im Schatten des Dominators
Der Berner Mathias Flückiger ist inzwischen 32 Jahre alt. Zeit seiner Karriere stand er im Schatten des um drei Jahren älteren Bündners. Während Schurter Titel um Titel einfuhr, erzielte Flückiger beachtliche Resultate – die Aufmerksamkeit blieb ihm aber verwehrt. «Ich habe mich gefragt, ob man sich nur zwei Namen im Mountainbikesport merken kann: Einer bei den Frauen und einer bei den Männer», sagt Flückiger. Jener der Männer war vergeben: An den Dominator dieses Sports.
Doch in den letzten beiden Jahren haben sich die Stärkeverhältnisse verschoben. Während Schurter langsam den Anschluss an die Spitze zu verlieren schien, hat sich Flückiger dort festgesetzt. An den Olympischen Spielen in Tokio holt er sich hinter dem britischen Wunderkind Tom Pidcock die Silbermedaille. Schon zum Saisonstart sagte Flückiger: «Ich sehe mich als Nummer 1 der Schweiz.»
Auch Nino Schurter hat diese Verwandlung festgestellt. Er wusste, dass er an der WM nur in einem perfekten Rennen Flückiger schlagen und das Rennen in Abwesenheit Pidcocks gewinnen kann. Dieses perfekte Renen gelingt Nino Schurter.
Zuerst Teamkollegen, dann Gegner
Zunächst profitieren die beiden Schweizer voneinander. Sie setzen sich früh von der Konkurrenz ab. Im Ziel sollten sie dem Dritten, dem Franzosen Victor Koretzky, über eine Minute abnehmen.«Wir haben super zusammengearbeitet und konnten schnell eine grosse Lücke hinausfahren», erzählt Schurter. Als das Ziel näher kommt, werden aus Teamkollegen Konkurrenten. Flückiger hat die besseren Vorzeichen
Selbst Schurter glaubt zunächst nicht, dass er gewinnen kann. «Ich habe mich schon fast ein wenig zufrieden gegeben mit Silber. Ich spürte, dass Mathias richtig gut fährt.» Das ändert sich in der letzten Runde, «da merkte ich, dass auch ihm langsam die Körner ausgehen». Den ersten Angriff kann Flückiger parieren, beim zweiten kommt Schurter vorbei. Wieder steht er Flückiger vor der Sonne. Der Berner lässt seinen Tränen im Ziel freien Lauf. Später sagt Flückiger, dass er zwar mit der Leistung zufrieden sei, mit der erneuten Silber-Medaille aber weniger.
Publikum unterstützt ihren Liebling
Nur einige Meter vom weinenden Flückiger entfernt lässt sich Nino Schurter feiern. In seiner typischen Manier stemmt er sein Bike in die Luft, das Publikum in Val di Sole, das ihn so liebt, flippt aus. «Endlich hatten wir wieder richtig Zuschauer. Und ich habe während der Fahrt gespürt, dass das Publikum vor allem mich anfeuert», sagt Schurter. «Vielleicht lag es auch an dieser Unterstützung dass ich nochmals aufdrehen konnte.»
Flückiger dagegen ist der Geschlagenen, spricht von einem guten Kampf und davon, dass er daraus lernen möchte. Damit es im nächsten Jahr mit Gold klappt. Schurter weiss um die Enttäuschung seines Teamkollegen. «Ich weiss, wie lange ich ihm vor der Sonne gestanden bin. Ich habe es ihm gegönnt, dass er gute Resultate erzielte und mich schlagen konnte.»
An der WM aber gewinnt Nino Schurter. Dieser neunte WM-Titel für den Mann, der längst zu einer Legende geworden ist, rückt die Mountainbike-Normalität in der Schweiz wieder ein bisschen gerade. Es kommt für alle überraschend.
Publiziert in den Tageszeitungen von CH Media: Hier der Link