Die Steinbrüche waren einst Gold wert

Vor zwei Wochen mussten 125 Menschen evakuiert werden, weil ein Steinbruch in sich zusammen­zufallen drohte. Dabei verdankt Luzern dem Sandstein viel – auch die Museggmauer.

Nur die wenigsten wissen es: Die Stadt Luzern steht auf wertvollem Stein. Der grünliche Luzerner Sandstein ist hart und ideal für stabile Bauten. Deshalb wurde bis Anfang des 20. Jahrhunderts an verschiedenen Standorten in der Stadt Luzern Stein abgebaut (siehe Karte). Dadurch entstanden Dutzende Steinbrüche.

Diese werden jetzt zum Problem, erklärt der Luzerner Geologe Beat Keller auf einem Rundgang zu den Steinbrüchen. «Durch die Verwitterung beginnt sich der Fels – etwa 100 Jahre nachdem der Stein abgebaut wurde – zu lösen.» Das bemerkten am 19. Januar auch die Bewohner an der Sagenmattstrasse: 125 Menschen, die im Hochhaus direkt neben dem Steinbruch wohnen, mussten mitten in der Nacht evakuiert werden. Dank Sensoren konnte das Problem überhaupt erkannt werden, erklärt Beat Keller, der für die Sicherheit rund um den Steinbruch zuständig ist. «Es hat sich eine 20 Meter hohe Platte gelöst. Diese musste vorsichtig mit einem Grossbagger entfernt werden», erklärt Keller. Aktuell dürfen die Bewohner zwar wieder ins Hochhaus, die Garage darf bis zur Sicherung eines weiteren labilen Felspakets im März nicht betreten werden.

Instabile Schichten an Oberfläche

In der Stadt Luzern gibt es über 20 weitere Steinbrüche. Alle haben eines gemeinsam: An der heutigen Oberfläche ist der Stein von schlechter Qualität. Die guten, stabilen Plattensandsteine wurden abgebaut. Der Luzerner Sandstein wurde vor 20 Millionen Jahren im Molassemeer gebildet. Darunter liegen Ablagerungen des Wattenmeers mit muschelförmiger Schichtung und Tonhäuten. «Diese Schichten sind für den Bau von Gebäuden unbrauchbar», sagt Beat Keller. Deshalb wurde der Abbau jeweils dann eingestellt, als diese Schicht zum Vorschein kam. «So kommt es, dass an den seitlichen Felswänden dieser Steinbrüche nur die schlechten, instabilen Schichten zurückgelassen wurden», sagt Keller, der seit über dreissig Jahren als Geologe tätig ist.

Hofkirche aus Luzerner Sandstein

Gemäss Keller ist die Stadt Luzern zusammen mit Fribourg die einzige der Schweiz, die mitten in der Stadt in grösserem Umfang Stein abgebaut hatte. So importierte Basel beispielsweise seine Bausteine aus dem Elsass, die Stadt Zürich wurde von Bollingen am oberen Zürichsee beliefert. Der Luzerner Stein wurde ausschliesslich für eigene Bauten verwendet. Noch heute findet er sich an Gebäuden in der Innenstadt: Die Hofkirche, das Friedensmuseum, das Maihof-Schulhaus oder das Konservatorium – alle sind aus diesem grünlichen Stein gebaut. Und noch viel mehr: «Wenn man genau hinschaut, sieht man den Sandstein in der Altstadt an jeder Ecke», so Beat Keller.

Der Stein aus sandigen Erosionsprodukten der miozänen Alpen, wie es der Fachmann sagt, setzt sich hauptsächlich aus Quarz, Feldspäten, Gesteinstrümmern und Glimmer zusammen. Und er ist wortwörtlich steinhart. «Der Sandstein war für die Stadt Luzern wertvoll wie Gold», sagt Keller. Der Geologe vermutet: Hätte Luzern diesen Baustein nicht direkt unter seinen Füssen gehabt, wäre man wohl nicht auf die Idee gekommen, eine so grosse Stadtmauer zu bauen. «Die voluminöse Mauer wäre mit dem Transport des Baumaterials zu teuer geworden», so Keller. Direkt neben der Mauer gab es deshalb mehrere kleinere Steinbrüche. Deren Steine konnten sogleich direkt für die Mauer verwendet werden.

Bruchquartier war ein Steinbruch

Die Geschichte der Steinbrüche in der Stadt Luzern geht zurück bis ins Mittelalter, als die hölzernen Häuser den steinernen wichen. «Zuerst wurden dafür Findlinge genommen. Erst als bessere Werkzeuge kamen, konnte man die frischen, anstehenden Gesteine abbauen», sagt Keller. Bereits im Martiniplan von 1597 ist der Steinbruch St. Anton im Bruch zu sehen, wo sich heute das Löwendenkmal befindet. Damals wurden die verwitterten Steine mit Pickeln abgetragen.

Zuerst begannen die Luzerner am Rande der heutigen Altstadt mit dem Abbau des Steins: Daher erhielten beispielsweise die Hertensteinstrasse und die Steinenstrasse ihre Namen. Ab dem 18. Jahrhundert, als die «guten» Steine in der Altstadt aufgebraucht waren, verlegte man den Abbruch zu einem grossen Teil in die Neustadt. Im Bereich Bruchquartier (das so seinen Namen erhielt) sowie in der Baselstrasse und Sagenmattstrasse gab es dann die ersten ganz grossen Steinbrüche.

Anfang des 20. Jahrhunderts sorgte ein Gutachten über die Bausteine für Aufsehen: Der Berner Sandstein sei qualitativ viel besser als der Luzerner. «Unsinn», sagt heute Beat Keller, der beide Gesteine kennt. Der Ruf des Luzerner Sandsteins war dadurch aber beschädigt, der Abbau des Steins rentierte nicht mehr. Um 1910 wurde in der Stadt der Steinabbau eingestellt.

Heute wird der Luzerner Sandstein nur noch beim Steinbruch Stecher auf dem Rooterberg abgebaut. «Dieser ist enorm wichtig: Nur dort gibt es den Originalstein für Reparaturarbeiten bei denkmalgeschützten Bauten», sagt Beat Keller dazu.

Gefahr wurde unterschätzt

In den 1950er- und 1960er-Jahren, als die Stadt deutlich wuchs, wurde auch nahe an und in die Steinbrüche gebaut. «Man war sich damals der künftig wachsenden Gefahr, die von ihnen ausgeht, noch nicht bewusst», sagt Keller.

Das änderte sich spätestens am 18. September 1986: Damals ereignete sich im Steinbruch bei der Baselstrasse ein Felssturz. Davon getroffen wurden darunter parkierte Autos. «Die Gefahr wurde bis dann unterschätzt. Selbst danach haben noch viele gesagt, das sei doch nicht so gefährlich», so Beat Keller. Weitere Felsstürze gab es in der Baselstrasse 1989 und 1992. 1994 wurde der Steinbruch erstmals durch 300 Felsanker und den Einbau des Parkhauses umfassend gesichert.

Auch bei anderen Steinbrüchen wurden in den letzten Jahren Sicherheitsvorrichtungen angebracht. Dafür zuständig sind die Grundstückseigentümer und nicht die öffentliche Hand, da Steinbrüche rechtlich nicht zu den Naturgefahren gezählt werden, sondern künstliche Gewerke sind. «Um den Fels zu sichern, gibt es verschiedene Varianten. Häufig sind es bis zu sechs Meter lange Felsanker, die den Stein befestigen, oder ganz einfach eine Absperrung des Sturzraumes wie beim Löwendenkmal», erklärt Keller, der selber für die Sicherung der meisten Steinbrüche zuständig war. Angst haben müssen die Anwohner aber nicht, sagt Keller. «Wenn die Steinbrüche fachmännisch gesichert sind, geht von ihnen keine Gefahr aus.»

Publiziert in der Neuen Luzerner Zeitung am 1. Februar 2016.

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