Wäre er nicht Trainer, dann würde er Mathematik unterrichten: Mauro Lustrinelli. (Bild: Keystone)

Vor der EM-Endrunde ist U21-Nationaltrainer Lustrinelli überzeugt: «Unsere Mission geht weiter»

U21-Nationaltrainer Mauro Lustrinelli ist vor der Europameisterschaft optimistisch, dass sein Team die Gruppenphase übersteht. Zudem erzählt er, was Mathematik und Fussball gemeinsam haben.

Hinter Mauro Lustrinelli prangt im Videogespräch der Schriftzug «Mission 21». Seit zwei Jahren ist er der Slogan der U21-Nationalmannschaft und ihres Trainers Lustrinelli. Dank einer überzeugenden Qualifikation mit neun Siegen in zehn Partien hat sich das Team souverän für die Europameisterschaft qualifiziert. In Slowenien trifft die Schweiz auf die Top-Gegner England, Kroatien und Portugal, Lustrinelli ist dennoch optimistisch.

Wären Sie nicht Trainer geworden, wären Sie jetzt Lehrer. Was fasziniert Sie an der Arbeit mit jungen Menschen?

Mauro Lustrinelli: Ich habe schon immer gerne mit jungen Menschen kommuniziert und meine Erfahrung weitergegeben. Darum wollte ich eigentlich Mathematiklehrer werden, weil mich die Mathematik immer begeistert hat. Ich freue mich immer, wenn meine Söhne Mathe-Aufgaben machen müssen. (lacht)

Einen Mathematiker als Nationaltrainer hatten wir doch schon mal: Ottmar Hitzfeld. Wie sehr ist Fussball auch Mathematik?

Fussball besteht aus einem guten Mix. Alles, was mit Statistiken, Planungen oder den neuen GSP-Systemen zu tun hat, ist nah an Mathematik. Auch die Taktik ist häufig mathematisch geprägt, es geht darum, Überzahlsituationen zu schaffen. Aber das ist nur die Hälfte des Fussballs. Es braucht auch die intuitive Komponente, das Kreative.

Wie können Sie einem Spieler Kreativität vermitteln?

Wir sind im Staff sehr kreativ, haben immer wieder viele neue Ideen. Doch klar ist: Die defensive Organisation darf nicht kreativ sein, dort geht es um Ordnung. Dafür sind in der Offensive kreative Lösungen gefragt.

Die Defensive im Fussball war schon damals vorgegeben, als Sie noch Fussballer waren. Doch inzwischen kann man auch in der Offensive klare Taktiken beobachten.

Das stimmt. Als ich noch gespielt habe, hatten wir offensiv maximal eine einfache Lösung. Die Mannschaften spielten oft im 4-4-2, wenn ein Stürmer dem Ball entgegenlief, ging der andere in die Tiefe. Heute ist das ganz anders. Eine Mannschaft hat nicht mehr nur einen Plan A, sondern kann auch reagieren, wenn der Gegner anders spielt als angenommen. Für mich als Trainer ist es entscheidend, im Vorfeld alles über den Gegner zu wissen. Dadurch kann ich die richtige Taktik wählen, aber noch wichtiger darauf reagieren, was in einem Spiel passiert.

Die Vorbereitung auf die Endrunde ist extrem kurz. Was kann in dieser kurzen Zeit einstudiert werden?

Das ist eine gute Frage, darüber haben wir im Staff lange diskutiert. Grundsätzlich möchten wir, dass die Spieler wissen, wie sie sich in bestimmten Situationen zu verhalten haben. Doch wir dürfen die Spieler nicht mit zu vielen Informationen überlasten. Darum versuchen wir, einen Mittelweg zu finden. Wir kommunizieren dank der technischen Mittel schon vor dem Zusammenzug, führen Einzelgespräche, geben Informationen ab. Doch wir arbeiten seit zwei Jahren mit den Jungs zusammen. Wir haben unsere Identität und wissen, wie wir spielen möchten.

Die Gruppengegner sind mit England, Portugal und Kroatien namhaft. Wie lautet Ihr Ziel?

Die Mission 21 wird nach den Gruppenspielen weitergehen. Wir haben stets Spiel für Spiel genommen. Das führen wir so weiter. Wir möchten jede Partie gewinnen. Dafür braucht es Leidenschaft, Willen, Teamgeist. Wir haben in der Qualifikation Spiele dank Einwechselspielern gewonnen. Das passiert nur, wenn die Teamdynamik stimmt.

Die Schweiz ist erstmals seit zehn Jahren wieder an einer U21-Endrunde. Wo steht die Schweizer Nachwuchsarbeit im Vergleich zu den Gruppengegnern?

Sich mit England zu vergleichen, ist unmöglich. Sie haben – ähnlich wie Frankreich – 40 Spieler auf Topniveau. Alle spielen in der Premier League. Sie sind schnell, stark, physisch gut. Auch Portugal und Kroatien haben spielstarke Mannschaften, der Fussball hat in jenen Ländern einen anderen Stellenwert. Aber wir gehören zu den Top 16. Wir arbeiten gut in der Schweiz. Und das zeigen wir unter anderem jetzt mit der U21. Diese Stufe ist für die Schweiz eine sehr wichtige Bühne. Ausser Basel in der letzten und YB in dieser Saison spielen Schweizer Klubs kaum international. Ich habe gerechnet: Laut Transfermarkt haben im letzten Sommer die Schweizer Klubs rund 25 Millionen Franken eingenommen dank Transfers von U21-Nationalspielern. Ich bin überzeugt, dass deshalb möglich war, weil sie sich in der U21 auf internationalem Niveau bewiesen haben.

Einige, wie Andi Zeqiri oder Dan Ndoye, sind fast ohne Super-League-Erfahrung ins Ausland gewechselt. Finden Sie das richtig?

Da geht es nicht zwingend darum, was ich richtig finde. Wenn ein Premier-League-Verein anklopft, ist es schwierig, Nein zu sagen. Unsere Empfehlung ist es, zunächst regelmässig in der Super League zu spielen, dann zu einem Leader und Leistungsträger zu werden und erst dann ins Ausland zu wechseln. Jordan Lotomba, Bastien Toma oder Ruben Vargas haben es so gemacht.

Kurz vor der EM entschied sich Nedim Bajrami nicht mehr für die Schweiz, sondern für Albanien zu spielen. Wie sehr beeinträchtigt dies den Teamgeist?

Am Ende ist es seine Entscheidung, die wir respektieren müssen. Ganz nachvollziehen kann ich sie nicht. Sie kam für uns auch überraschend, zumal er ja eigentlich Nordmazedonier ist. Leider war es nicht möglich, ihn vom Verbleib zu überzeugen, seine Entscheidung war gefallen. Wir wollen Spieler dabei, die sich mit der Schweiz identifizieren können und für uns alles geben. Ich möchte lieber über diese Spieler sprechen.

Dann machen wir das doch: Wen sehen Sie als grösste Hoffnung für das künftige A-Nationalteam?

Alle. Ich bin überzeugt von allen Spielern. Aber natürlich kann ich nicht in die Zukunft sehen. Man kann nicht voraussehen, wie sich die Spieler entwickeln. Ich kam selber erst mit 30 Jahren in das Nationalteam, von daher ist es echt schwierig, abzuschätzen. Wenn man zum Beispiel sieht, wie sich die Karriere von Remo Freuler entwickelt hat, dann merkt man, wie schwer man solche Karrieren voraussagen kann.

Und doch sah man etwa bei Granit Xhaka früh, dass er das Nationalteam mal prägen wird.

Das stimmt. Aber es war eine andere Situation im A-Team. Damals gab es einen riesigen Generationenwechsel. Das ist jetzt anders. Trotzdem haben mit Lotomba, Vargas, Cömert, Okafor, Omeragic und Sohm sechs Spieler schon für die A-Nati gespielt.

Mit Omeragic, Cömert und Vargas sind drei Spieler bei der A-Nationalmannschaft dabei. Wie sehr ärgert Sie es, dass die Endrunde wegen Covid zeitgleich wie A-Länderspiele stattfindet?

Normalerweise hätten wir alle Spieler zur Verfügung, wären nochmals besser besetzt. Aber das Problem haben andere Nationen auch, auch wenn Länder wie England noch eine grössere Breite haben. Doch keine Sorge: Wir haben ein super Kader. In der Qualifikation haben wir in jedem Spiel mehrere Spieler gewechselt und es hat funktioniert. Auch an der EM werden wir rotieren, da wir in einer Woche drei Spiele haben.

Ihr Vertrag als U21-Nationaltrainer läuft noch bis 2023. Reizt Sie es nicht, Klubtrainer zu werden?

Natürlich möchte ich irgendwann Klubtrainer sein. Aber die Aufgabe als U21-Nationaltrainer ist herausfordernd und spannend. Ich darf mit den talentiertesten Spielern der Schweiz zusammenarbeiten. Und ich habe die Möglichkeit, internationale Erfahrungen zu sammeln. Das ist für mich sehr lehrreich. Ich lerne mich auf unsere Gegner zu analysieren, lerne andere Fussballkulturen kennen.

Die Gruppengegner bereiten sich jetzt auf die Schweiz vor. Denken Sie, Ihr Team wird unterschätzt?

Ich hoffe es. Aber das ist schwierig, weil wir in der Qualifikation neun von zehn Spielen gewonnen haben – einmal auch gegen Frankreich. Doch ob wir unterschätzt werden oder nicht: Wir haben gute Chancen auf eine erfolgreiche Europameisterschaft. Ich bin vom Weiterkommen überzeugt.

Publiziert in der Schweiz am Wochenende: Hier der Link