Wenn die Grätsche nicht mehr geschätzt wird

Eine Kolumne darüber, wie ein neues Stadion das Publikum verändert.

In St. Gallen ist die Fussballwelt noch in Ordnung. Dort gilt ein dreckiges Trikot noch mehr als ein ausgefallener Torjubel. Das zeigt dieses Bild vom Spiel am letzten Samstag: In der Schlussphase wird FCL-Stürmer Marco Schneuwly mit einer Grätsche eines St. Galler Verteidigers gestoppt. In der Luzerner Swisspor-Arena würde diese Aktion wohl kaum grösser beachtet. Ganz anders in St. Gallen: Selbst auf der Haupttribüne erhoben sich die Zuschauer und applaudierten für den grossen Einsatz. Es passt zur emotionalen Stimmung im Stadion.

Beim FC Luzern hat es diese Reaktion des Publikums schon länger nicht mehr gegeben. Spä­testens seit dem Einzug ins neue Stadion – das zwar einige Fans immer noch Allmend nennen mögen, mit der charme­vollen Bruchbude frü­herer Tage aber praktisch nichts mehr gemein hat – hat sich auch das Bild des FCL geändert. Er steht nicht mehr für Kampf, sondern für Glamourfaktor. Ein Traumtor wird mehr geschätzt als ein voller Einsatz in der Defensive. Das Stadion wird bei einer guten Leistung auch laut (sogar auf der Haupttribüne), mit reinem Einsatz für Blau und Weiss können die Luzerner Zuschauer aber nicht mehr zufriedengestellt werden.

Kein Wunder: Statt auf das einfache Fussvolk auf der Steh-Gegengerade ist die neue Arena für die Zuschauer in den VIP-Logen ausgerichtet. Die kommen der guten Unterhaltung wegen ins Stadion. Schönes Spiel wird eher erwartet als Kampf- und Rumpelfussball.

Dabei bin ich noch mit einem FC Luzern aufgewachsen, der Spielertypen wie den Kämpfer Pascal Bader liebevoll als Fussballgott bezeichnete. Solche Spieler scheinen beim FCL heute keinen Platz mehr zu haben. Das zeigen auch die jüngsten Transfers. Statt auf Kämpfer setzt der FCL auf technisch versierte Spieler. Denn: Sein Spielstil ist dem Tiki-Taka näher als dem Kick and Rush.

Als es vor rund sieben Jahren um den Rasen im neuen Stadion ging, entbrannte eine Diskussion. Der Verein wollte Kunst­rasen, die Fans Naturrasen. Zum Image des FCL würde ein Kunstrasen nicht passen, so die Begründung der Fans. Den Länderspielen sei Dank, hat sich der FCL schliesslich für Naturrasen entschieden. Wobei Kunstrasen heute gar nicht mehr so unpassend wäre. Schönes, technisches Spiel ist auf dieser Unterlage nämlich passender.

Und schönes Spiel wird inzwischen auch gefordert. Denn die Luzerner Zuschauer sind verglichen mit den Fans in St. Gallen verwöhnt. Luzern hat sich in den letzten Jahren fast ausschliesslich auf den Rängen 2 bis 5 klassiert. Der FCSG stieg dagegen zweimal ab (und wieder auf) und kämpft stets um den Ligaerhalt. Ein 1:0-Kampfsieg zu Hause gegen einen FC Vaduz löst in der Innerschweiz nicht mehr dieselbe Freude aus wie in der Ostschweiz.

St. Gallen hat doch auch ein neues Stadion, werden einige sagen. Klar, das neue Stadion ist modern und wird ebenfalls Are­na genannt. Aber: Mit Schönheit hat der Betonklotz deutlich weniger zu tun als die architektonische Swisspor-Arena in Luzern. Dafür ist die Stehrampe steil und hoch und die Fans laut und emotional. Die Stimmung erinnert an das alte Espenmoos. Beim FCL dagegen verschwinden die hintersten Fans auf der Stehtribüne im dunklen Schatten des Daches, und die Fans scheinen nur noch halb so laut zu sein wie in der guten alten Allmend. Die Swisspor-Arena imponiert dagegen durch ihre architektonische Schönheit. Sie ist das KKL des Fussballs. Und ins KKL gehört auch kein Kara­oke – sondern richtig gute Musik.

Auch der SC Kriens ist heute für Kampffussball bekannt. Und auch er erhält nun ein neues Stadion. Zwar bleibt bei den Stehplätzen vieles beim Alten, aber das Image des Vereins könnte sich dadurch verändern. Immerhin ist man in Kriens konsequent: Man setzt auf einen Kunstrasen. Wetten, dass der SCK in einigen Jahren nicht mehr für Kampf und Leidenschaft bekannt sein wird? Und wetten, dass dann eine Grätsche nicht mehr den gleichen Applaus erhält wie heute?

Publiziert in der Luzerner Zeitung am 16. März 2017.

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