Wenn ein Ausweis zum Accessoire wird

In der WM-Kolumne schreibt Raphael Gutzwiller, warum ein Papier um den Hals plötzlich zum Statussymbol wird und wie er seines selber erhalten hat.

Es ist nur ein Stück laminiertes Papier, das in diesen Tagen zum Accessoire wird. Als ich in Moskau ankomme, sehe ich es überall. Schon am Flughafen laufen mir die ersten Anhänger mit modischer Karte entgegen. Genannt wird sie Fan-ID, darauf finden sich ein Passfoto und der Name des Besitzers. Selbst am Abend in der Bar entledigen sich einige ihres Passes um den Hals nicht. Während ich einen speziellen russischen Salat esse (sorry, den Namen habe ich vergessen), sitzen drei Dänen daneben, den Pass stolz präsentierend. Was anderorts das Platinkreditkärtchen ist, ist hier die Fan-ID: ein Statussymbol. Nur mit der neuen Erfindung der Fifa gelangt man ins Stadion, zudem ist damit der ÖV gratis.

Auch ich als Journalist brauche so eine ähnliche Karte. Es hiess, man könne sie im Akkreditierungscenter bei einem Stadion abholen. Typisch schweizerisch denke ich, es werde unbürokratisch. «Meine Schweizer Identitätskarte reicht sicher, um kurz zu zeigen, dass ich es bin.» Den Pass lasse ich in der Wohnung, sonst verliere ich ihn ja nur. Ein Fehler.

Als ich endlich vor dem Tresen stehe, ich musste beim Luschniki-Stadion mindestens vier Helfer nach dem Weg zu diesem Center fragen, erklärt mir eine junge Blondine lächelnd: «We need your passport.» Auch die Nachfrage, ob es denn mit der ID nicht auch ginge, und ein möglichst freundlich aufgesetztes Lächeln nützen wenig. Für mich bedeutet das: zurück in die vollgestopfte U-Bahn, eine Station zu früh aussteigen, da ich der russischen Buchstaben nicht mächtig bin, wieder zurück in die U-Bahn, zu Fuss in mein Appartement, den Pass holen, und das Ganze nochmals in die andere Richtung.

Als ich wieder vor dem Tresen stehe, nickt die lächelnde Blondine. Sie knipst ein Foto von mir, ganz egal wie verschwitzt ich nach diesem Stress bin. Als ich den Ausweis in den Händen halte, freue ich mich sogar ein bisschen. Ein geeignetes Accessoire für die Bar ist er für mich trotzdem nicht.

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