Ausgerechnet die Nordiren, die für ihre rüde Spielweise bekannt sind, beklagen sich nach dem Barrage-Hinspiel über Schweizer Härte. Es ist ein Kompliment für die Schweizer Mannschaft – die in Basel genau gleich auftreten will.
Es schien, als wären die Rollen vertauscht worden. Im Vorfeld hatte man überall davon gehört und gelesen, wie aggressiv die Nordiren auf dem Fussballplatz auftreten. Deren Trainer Michael O’Neill hatte die Schweizer sogar als «eher soft» betitelt. Doch nach dem Hinspiel der Barrage im Windsor Park wollte er davon gar nichts mehr wissen.
O’Neill beklagte sich stattdessen über mehrere harte Einsteigen, vor allem über das Foul von Fabian Schär nach fünf Minuten. «Das hätte eine rote Karte geben sollen», fand der nordirische Trainer. Klar, die Intervention des Wiler Innenverteidigers mittels einer Grätsche in des Gegners Füsse war überhart, es war aber vielmehr eine Reaktion auf die bereits von erster Sekunde an rüde Spielweise der Iren. Allein der Flügelspieler Steven Zuber, der für den formschwachen Admir Mehmedi in die Formation rückte, hatte in den Startminuten mehrmals einstecken müssen. Das Foul von Fabian Schär sollte dann Signalwirkung für das ganze Schweizer Team haben. «Wir wollten zeigen, dass wir von Beginn weg dagegenhalten. Nicht nur fussballerisch, sondern auch kämpferisch», sagte Fabian Schär.
In der Nachbetrachtung des wichtigen Auswärtsspiels wurde von den Schweizer Spielern denn nicht ihre spielerische Fähigkeit, sondern die Mentalität des Teams gelobt. «Wir waren mental gegen diesen physischen Gegner bereit, das war entscheidend», so Schär.
«Wir sind erst in der Halbzeit»
Dass sich in Belfast nach einem Länderspiel der Heimtrainer und nicht der Gästetrainer über die Härte im Spiel beklagte, war wohl ein Novum. Für die Schweizer Equipe war diese Reaktion als grosses Kompliment zu werten. Denn sie hatte verstanden, wo die Schwierigkeit beim Duell mit diesem unangenehmen Gegner liegt. Das Spiel glich einem Cupspiel, bei dem der Oberklassige auf einen Gegner traf, der zwar weniger fussballerische Qualität in den Reihen weiss, dies aber mit Leidenschaft und Kampfgeist wettmachen wollte. Etwas, was die Nordiren in der laufenden WM-Qualifikation als grosse Stärke beweisen konnten. Einzig die Deutschen gewannen in Belfast. Die anderen Teams, darunter Norwegen und Tschechien, mussten sich dem Kampfgeist und dem enthusiastischen Publikum in Nordirland ergeben.
Dank dem 1:0-Auswärtssieg durch den Penaltytreffer von Ricardo Rodriguez, der für Diskussionen und in den irischen Medien für Verärgerung sorgte (siehe Box rechts), hat die Schweizer Mannschaft eine vorzügliche Ausgangslage. Doch damit sei erst ein Schritt getan, warnt der junge Innenverteidiger Manuel Akanji. Er, der in seinem dritten Länderspiel eine überzeugende und coole Leistung abgerufen hat, meinte: «Wir sind noch nicht mit einem Bein in Russland, wie das einige behaupten. Es ist Halbzeit, und wir müssen schauen, dass wir auch die zweite Hälfte für uns entscheiden können.»
Doch vieles stimmt in der Nachbetrachtung des 1:0-Sieges für einen positiven Ausgang dieser WM-Qualifikationskampagne. Dabei hatte die Nati-Woche nicht mit den besten Vorzeichen begonnen. Udinese Calcio, der Verein von Valon Behrami, wollte einen Tag vor dem wichtigen Spiel, dass der angeschlagene Mittelfeldspieler sofort zu seinem Verein zurückkehrt. Grund: Fristen für das provisorische Aufgebot seien vom Schweizerischen Fussballverband nicht eingehalten worden. Unglückliche Vorzeichen vor einem so wichtigen Spiel. Doch die Mannschaft sei durch diesen Fall nicht gestört worden, erklärt Schär. «Wir wussten, dass Valon bei uns in der Nationalmannschaft bleibt. Deshalb mussten wir uns als Mannschaft keine Gedanken darüber machen.»
Nordirland muss in Basel mehr fürs Spiel machen
Dank der Führung im Rücken wird sich im Rückspiel in Basel (morgen, 18.00) auch die Taktik der Teams ändern. Die Nordiren können nicht mehr so defensiv auftreten, wie noch beim Heimspiel in Belfast. Bis zum Führungstreffer der Schweizer hatten sich die Nordiren rund um den eigenen Sechzehner eingeigelt, einzig Ex-Sion-Stürmer Kyle Lafferty blieb auf der Höhe der Schweizer Defensive stehen, konnte aber alleine nichts ausrichten.
Im Rückspiel müssen die Nordiren mehr unternehmen, um zu Torchancen zu kommen und so den Rückstand aufzuholen. Dies könnte den Schweizern Raum für Konter offerieren. Positiv dürfte die Schweizer stimmen, dass sie beim nordirischen Versuch, in der Schlussphase Druck aufzubauen, keine Torchance zuliessen. «Ja, wir sind defensiv sehr sicher gestanden», bilanzierte Schär. «Genau so müssen wir auch im Rückspiel wieder stehen.» Am Ende wird dieses Duell aber wohl kaum durch Taktik entschieden. Schär ist sich sicher: «Es wird auch in Basel über den Kampf gehen.»
Publiziert in der Luzerner Zeitung und im St. Galler Tagblatt am 11. November 2017.