Bradley Fink schiesst im Dortmunder Nachwuchs Tor um Tor. Bild: Rene Nijhuis/Getty

Wie der 18-jährige Schweizer Stürmer Bradley Fink in Dortmund zum neuen Haaland werden will

Bradley Fink ist gross, blond und spielt bei Borussia Dortmund. Letzte Woche gab der Mittelstürmer sein Debüt in der 3. Liga. Wir besuchen ihn drei Tage lang – und erfahren, wie das Toptalent tickt.

«Schau mal: Dort hinten ist der Signal-Iduna-Park.» Bradley Fink zeigt mit dem Zeigefinger in jene Richtung, in der die Umrisse der grossen Stahlträger des Stadions leicht im Nebel zu erahnen sind. Es nieselt, die Sicht vom Kaiserberg über dem Phönixsee in Dortmund ist getrübt. Bei einem Spaziergang rund um den See hat der 18-Jährige sein Viertel gezeigt. Jetzt haben wir die Treppe auf den Hügel genommen und eine gute Sicht auf den künstlich angelegten See und die moderne Wohngegend, die jene Stadt aufhübschen soll, die nicht gerade für ihre Schönheit bekannt ist. «Aber ich bin ja für den Fussball hierher gekommen», sagt Fink und lächelt.

Seit 2019 ist Dortmund sein zu Hause. Damals war er 16, Topklubs standen Schlange. Fink hatte für den Nachwuchs des FC Luzern am Laufmeter getroffen. Auch in Dortmund ballerte er sich von Stufe zu Stufe nach oben. Für die U19 hat er in dieser Saison in 20 Spielen 23 Tore erzielt und 10 Assists gegeben. Letzte Woche debütierte er im Profifussball, spielte erstmals in der 3. Liga für die U23. Sein Ausbildungsvertrag neigt sich dem Ende zu, die Option zum Profivertrag wird wohl gezogen.

Der Wechsel wurde zum Familien-Abenteuer
Am Vorabend des Spiels der erste Besuch. Bradley Finks Wohnung ist modern, aber nichts Extravagantes. Gleich im Haus daneben wohnt Erling Haaland. Bradleys Mutter Yvonne hat gekocht. Sie trägt ein schlichtes T-Shirt, auf dem Kragen prangt das Kürzel «YNWA». You’ll never walk alone. Sie ist ausserhalb Liverpools geboren, zügelte für Mann Thomas in die Schweiz. Die Liebe zum Liverpool FC hat sie ihrem Sohn weitergegeben. «Liverpool wäre ein Traum», sagt Bradley. Doch er wisse, dass es anders kommen kann. Er äussert sich vorsichtig zu Everton und Manchester United. Wer weiss, vielleicht spielt er ja mal bei einem der Erzrivalen.

Der Wechsel nach Deutschland hat das Leben der Familie auf den Kopf gestellt. «Es ist ein grosses Abenteuer», sagt Yvonne. Wenn sie in Dortmund ist, umsorgt sie ihren Sohn. Sie kocht gesund, viel Gemüse und Fleisch, dazu Reis oder Dinkelpasta. Doch nun sei sie mehr in der Schweiz. Bradley werde erwachsen und brauche Freiraum. Vater Thomas ist Marketingdirektor einer IT-Firma. Wenn er im Homeoffice arbeitet, verlegt er das Büro häufig nach Dortmund. An Spieltagen ist er immer dabei. Der Stolz auf seinen Sohn ist ihm anzumerken. Es würde ihn glücklich machen, wenn es Bradley schaffen würde. Doch er sagt auch: «Der Antrieb kam immer von Bradley. Wir unterstützen ihn einfach auf seinem Weg.»

Klein-Bradley will schon früh immer Fussball spielen, kickt mit seinem Vater. Dem fällt bereits früh das grosse Talent auf. Bradley ist vier, Thomas sagt zu Yvonne: «Bradley kann Profi werden.» Als der Knirps beim SC Cham im Verein beginnt, gibt es keine Zweifel mehr. Mit neun geht es zum FC Luzern.

Der Verzicht eines Jungprofis
Die Eltern erzählen, dass Bradley immer auf viel verzichtet habe. Spielten die Kinder an einem Sommerabend draussen, ging er früh ins Bett. Heute darf er nicht Skifahren, wandert dafür in den Bergen. Und wenn er ausgeht, tritt er schon um Mitternacht die Heimreise an. Alkohol hat er dann keinen getrunken. «Es kommt auf Kleinigkeiten an», sagt Thomas. Im letzten Sommer hat Bradley Fink das Fachabitur abgeschlossen, setzt jetzt ganz auf den Fussball.

Im Schlafzimmer hängt ein Poster von Michael Jordan. «Some people want it to happen. Some people wish it to happen. Others make it happen.» Weitere Motivationssprüche finden sich überall in der Wohnung. «Als Stürmer ist es wichtig, dass man an sich glaubt», sagt er. Das ist gerade dann entscheidend, wenn es mal nicht so läuft. Etwa dann, als ihm Youssoufa Moukoko in der U19 vorgezogen wurde, obwohl Fink in den Testspielen besser getroffen hatte.

Als es um seine Vorbilder geht, zählt er auf: Torres, Kane, Lewandowski oder Ibrahimovic. Beim Schweden bewundere er mehr die Beweglichkeit als das lose Mundwerk. Er wolle nicht arrogant werden. Doch wenn er von seinen Träumen spricht, stapelt er nicht tief: «Es wäre traumhaft, irgendwann für die Nationalmannschaft an einer WM zu spielen.» Geht es nach ihm, schon in diesem Jahr. Dazu bedürfe es, dass er bei Dortmund bald sein Debüt in der 1. Mannschaft gibt. Der Weg in das A-Nationalteam wäre der nächste logische Schritt.

Ein Stürmer, wie es sie in der Schweiz selten gibt
Derzeit spielt Fink im U19-Nationalteam. Auch wenn England angeklopft habe, wolle er für die Schweiz spielen. Sein aktueller Nationaltrainer Bruno Berner hat nur Lob übrig für Fink. Die Schweiz verfüge zu selten über gute Stürmer. «Und mit Bradley haben wir endlich einen Spieler mit dem Potenzial, ein grosser Mittelstürmer zu werden.» Fink sei körperlich stark, habe ein ideales Timing im Kopfballspiel und verfüge über einen guten Abschluss. «Und das Wichtigste: Er ist hungrig. Man spürt, dass er eine grosse Karriere machen möchte.» Der Schweizerische Fussballverband rät von frühen Auslandtransfer ab. Auch beim FC Luzern war man damals verärgert. «Man sollte den Einzelfall beurteilen», findet Berner. «Und im Fall von Bradley Fink ist es bisher aufgegangen.»

Sein Trainer bei Dortmunds U19, Mike Tullberg erzählt, dass Fink zunächst habe lernen müssen, mit Widerständen umzugehen. Inzwischen sei er reifer geworden, habe Fortschritte erzielt. «Er ist athletischer, besser in der Ballbehauptung, hat an sich gearbeitet. Die Entwicklung ist positiv. Doch es ist immer noch Luft nach oben.» Es gehe nun in der 3. Liga darum, sich für weitere Aufgaben zu empfehlen.

Bradley Fink während des Neuro-Athletik-Trainings bei ihm zu Hause. (Bild: Raphael Gutzwiller)

Am Matchtag hat Bradley um neun Uhr schon gegessen, Haferflocken und Bananen, gemischt mit Wasser, und er ist bereit für die erste Einheit. Steffen Tepel kommt zu Besuch. Er ist Neuro-Athletik-Trainer, betreut auch Schweizer Skispringer und einige Fussballer. Jamal Musiala von Bayern München ist einer von ihnen. Das Training umfasst zum Beispiel eine Übung, in der er sich eine Art Sonnenbrille aufsetzt, die aber nur über kleine Gucklöcher verfügt. So muss Bradley Bälle fangen. Durch diese Trainings soll er sich in Dingen wie peripherem Sehen oder der Standfestigkeit verbessern.

Finks Beispiel zeigt, wie junge Fussballer gezielt am Traum arbeiten. Neben den Klubtrainern verfügt er über einen privaten Staff. Er hat einen Physiotherapeuten, und bereits seit er elf ist einen Personaltrainer. In der Winterpause hält er sich fit, das Elternhaus in Knonau verwandelt sich dann in ein Trainingslager. Auch Ex-Nati-Captain Stephan Lichtsteiner war schon Sparringspartner. Dessen Bruder Marco ist Finks Berater.

Der ewige Vergleich mit Erling Haaland
Nach dieser ersten Einheit ist Bradley bereit für den Tag. Leichtes Training, Fahrt ins Teamhotel, Essen, kurzer Nap, dann Kaffee und Lieblingsriegel – dann ans Spiel. Es ist Freitag, Dortmunds U23 empfängt Freiburgs U23 im Stadion Rote Erde. Der Signal-Iduna-Park ist gleich nebenan, doch die Bänke wirken lotterig, nur 750 Zuschauer dürfen kommen. Es ist noch nicht die grosse Bühne für Bradley Fink bei seinem Heim-Profi-Debüt. Und er wird diesmal nur eingewechselt. Er soll an das höhere Tempo herangeführt werden. Am 1:1-Remis kann er nichts mehr ändern. Nach dem Spiel kommt er zur Tribüne und meint, dass es schwierig gewesen sei, ins Spiel zu kommen. Er schüttelt den Kopf. Später hat er Mühe, einzuschlafen, das Spiel kreist noch in seinen Gedanken.

Am Tag danach ist seine Laune nach dem Morgentraining besser. «Ich habe gut trainiert», erzählt er, als wir ihn beim Trainingsgelände abohlen. Von seiner Wohnung geht es zu Fuss zu seinem Lieblings-Sushi-Restaurant, beim Phönixsee. Bradley ist hungrig, bestellt mehrere kleine Portionen. Er erzählt, dass er gerne auswärts esse, auch mit Teamkollegen. Für den Nachhauseweg geht es um die andere Seeseite, wir nehmen den Umweg über den Königsberg.

Später sitzen wir auf seinem Sofa. Der BVB spielt in Hoffenheim, Erling Haaland schiesst das 1:0. Der Vergleich liegt auf der Hand. Beide sind gross, Fink 1,93 m, Haaland 1,94 m. Beide blond, Mittelstürmer und Torjäger. Ganz dieselben Stürmertypen sind sie aber nicht. Fink gilt als technisch versierter, Haaland ist bulliger. Dass der Stürmerstar im Sommer geht, scheint fix. Fink fände das schade: «Ich würde gerne von ihm lernen, von seiner Wucht und Dynamik.» Als Haaland verletzt ausgewechselt wird, ärgert er sich. Dortmund gewinnt dennoch.

Bradley Fink sieht seine Zukunft in Dortmund. Doch er weiss, dass es irgendwann nicht mehr reichen könnte. «Wenn das so wäre, müsste ich einen Schritt zurückmachen.» Sowieso habe er profitiert von der Ausbildung beim BVB. Interesse an Fink gibt es genügend. In der Schweiz soll Basel die Fühler ausstrecken, Luzern sowieso, der Kontakt ist nie abgebrochen, und im letzten Sommer wollte ihn Köln verpflichten. «Aber mit solchen Dingen beschäftige ich mich nicht», sagt er. «Ich fokussiere mich ganz auf Dortmund.»

Als wir uns nach drei intensiven Tagen verabschieden, dankt Bradley Fink für die gute Zeit. Und er sagt: «Man sieht sich bald wieder.» Am liebsten dann im grossen Stadion.

 

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