Die Professionalisierung im Sport hat viele Folgen. Eine davon: Unabhängiger Journalismus wird immer schwieriger. Zwischen Sportler und Reporter drängen sich immer mehr Angestellte des Vereins. Dies ist gefährlich, sagen Experten.
Dieser Text wurde am 24. Januar 2019 in der Luzerner Zeitung publiziert.
Tiefgründige Analysen, emotionale Interviews und packende Reportagen: Das alles sollen Sportjournalisten in ihrer täglichen Arbeit auf das Papier zaubern. Der Leser soll unterhalten werden, der Journalist das Geschehene einordnen.
Doch dies wird zunehmend erschwert. So stellen immer mehr Journalisten insbesondere im Fussball fest, dass es schwieriger wird, an die Sportler heranzukommen. «Es gibt immer mehr Zwischenstellen, von der Seite der Mediensprecher wird mehr Kontrolle ausgeübt», sagt der renommierte Sportjournalist Flurin Clalüna, der seit 2002 für die NZZ schreibt. Zu diesem Schluss kommt auch die deutsche Kommunikationswissenschafterin Julia Wellmann in ihrer Bachelorarbeit von 2015. Sie zeigt systematisch auf, wie die Kommunikation zwischen Athleten und Journalisten erschwert wurde. Ihr Fazit: «Die Sportberichterstattung würde anders in den Medien erscheinen, wenn die Journalisten ihre Ziele freier Berichterstattung umsetzen könnten. Sportrealität und Sportmedienrealität fallen immer weiter auseinander.»
Dem gibt Clalüna zu «hundert Prozent» recht. Das Hauptproblem sei aus seiner Sicht, dass es zu einem Missverhältnis komme. «Es gibt zwei Gegenbewegungen: Die Redaktionen werden immer mehr ausgedünnt, dagegen werden die PR-Stäbe der Vereine ausgebaut.» Dadurch könne die gewollte Botschaft der Vereine einfacher Gehör finden bei den Journalisten. Die Vereine wollen zwar, dass über sie berichtet wird, jedoch nur so, wie sie sich das wünschen.
Die Verhandlungen über Zitate
Ähnlich sieht dies Claudio Catuogno, stellvertretender Ressortleiter Sport der Süddeutschen Zeitung (SZ). «Der vielfältige, authentische Sportjournalismus wird erschwert», sagt er. Er betreut den FC Bayern München, war einst auch Berlin-Fussball-Korrespondent für die SZ. «Wir erhalten zwar noch immer unsere Interviewtermine, aber von den kleineren Zeitungen oder Sportwebsites haben nicht viele die Chance, mit Bayern-Spielern direkt sprechen zu dürfen.»
Zum einen ist es schwieriger geworden, mit den Fussballern in Kontakt zu treten, zum anderen werden viel häufiger die Zitate zum Gegenlesen verlangt. Etwas, was immer Konfliktpotenzial birgt. «Das Gegenlesen an sich ist für mich überhaupt kein Problem», meint Clalüna. «Doch die Pressestellen erlauben sich immer mehr. Sie nehmen Veränderungen vor, die den ganzen Text kaputtmachen können.» Dabei spricht er nicht nur von inhaltlichen Veränderungen, sondern auch von sprachlichen. Für ihn sei Letzteres fast das grössere Problem:
«Wenn ein Fussballer spricht wie ein PR-Manager, entspricht dies einfach überhaupt nicht mehr der Realität.»
Auch Catuogno ärgert sich manchmal über das Bürokratendeutsch. «Und natürlich ärgere ich mich, wenn danach der Sinn verfälscht wird.» Die Journalisten verhandeln in solchen Fällen mit den Vereinen über einzelne Zitate.
Selbst bei kleineren Vereinen ist es immer komplizierter, ein Interview zu führen. So ist es inzwischen auch bei Challenge-League-Vereinen so, dass nur über die Mediensprecher Interviews vereinbart werden dürfen. Dazu kommt, dass die Interviews meistens auf dem Vereinsgelände stattfinden und oft ein Pressesprecher dabei ist. Es sei gut möglich, dass dadurch die Interviews verfälscht würden, meint Flurin Clalüna. «Aber viel mehr stelle ich mir die Frage, was sich die Mediensprecher überhaupt davon erhoffen. Ins Gespräch eingegriffen hat bei mir noch nie jemand. Dagegen glaube ich, dass es eine Art Bevormundung gegenüber den Spielern ist. Es ist nachvollziehbar, dass man bei einem 20-jährigen Talent dabei sein möchte, aber warum beim 30-jährigen Captain oder 50-jährigen Trainer?»
Es gibt keine einheitliche Regelung
Als Hauptproblem in der Schweiz macht Clalüna aus, dass es keine einheitliche Regelung gibt und es jeder Verein unterschiedlich handhabt. So gibt es einige wenige Vereine, bei denen Handynummern rausgegeben werden, bei anderen wiederum läuft alles über die Medienstelle. Noch spezieller findet es Clalüna, dass man in der Mixed-Zone nach den Spielen oder bei internationalen Partien am Flughafen Interviews führen kann, ohne dass etwas gegengelesen werden muss. «Stattdessen wollen sie bei den Interviews in gemütlicher Atmosphäre dabei sein und alles gegenlesen. Das macht wenig Sinn.»
Claudio Catuogno stellt fest, dass in rund der Hälfte seiner Interviews ein Pressesprecher dabei sei. «Natürlich würde ich es mir wünschen, wenn ich mit dem Spieler alleine das Interview führen könnte. Das Gespräch würde wohl ehrlicher und persönlicher werden.» Doch er hält fest: «Manchmal stört es nicht so gross. Es kommt darauf an, wie wichtig sich der Mediensprecher nimmt.»
Constantin schliesst sogar Journalisten aus
Als Journalist muss man in der Berichterstattung durchaus aufpassen, wie ein Beispiel des FC Sion zeigt. Seit dieser Saison wird die Unterwalliser Zeitung «Le Nouvelliste» nach kritischer Berichterstattung gegen Sion-Präsident Christian Constantin von allen Heimspielen des FC Sion ausgeschlossen. Der Fall bleibt zum Glück aber eine Ausnahme.
Marco von Ah ist seit 2008 Medienchef beim Schweizerischen Fussballverband, davor war er 12 Jahre bei unserer Zeitung als Sportjournalist- und Chef tätig. Er verstehe beide Seiten, sagt er im Gespräch. «Jedoch stelle ich fest, dass einige Journalisten die Seite der Mediensprecher und der Spieler weniger gut verstehen», sagt er. «Ich kann beispielsweise die Handynummer von Xherdan Shaqiri nicht jedem Journalisten geben, da sein Telefon sonst noch häufiger und zu noch spezielleren Zeiten klingeln würde. Meine Aufgabe sehe ich darum auch darin, Interviewanfragen zu sammeln, zu koordinieren und sie für alle Parteien so effizient zu realisieren, dass sich das Team in erster Linie auf das Fussballspielen konzentrieren kann.»
Dimensionen werden laufend grösser
1996 an der EM in England begleitete von Ah das Schweizer Nationalteam für unsere Zeitung. Er erinnert sich, dass sich um jene Zeit die Kommunikation zwischen Journalisten und Sportlern zu entfernen begann. «Die Engländer kannten schon früh Medienzelte, in denen kurze Medientermine mit Spielern stattfanden. Das haben andere Verbände kopiert», erzählt von Ah. Anfangs sei es eine grosse Umstellung für ihn als Journalist gewesen, da er einige Spieler schon länger gekannt habe und sich unverbindlicher habe unterhalten wollen.
Heute ist er aber mehr denn je überzeugt davon, dass es gar nicht anders geht. «Die Dimensionen sind einfach laufend grösser geworden. Früher reisten vielleicht zwanzig Schweizer Journalisten an eine WM, heute sind es fünfzig. Und weil diese grossen Events fast immer geprägt sind von Fakten, die via TV und Onlineportale längst bekannt sind, ist der Druck auf die Medienschaffenden für Tageszeitungen vor Ort sehr gross.»
Dass Mediakontingente ausgeschöpft werden, ist insofern erstaunlich, als dass im Schweizer Journalismus ein Konzentrationsprozess stattfindet. Die Journalisten werden dennoch häufiger an Fussballturniere geschickt, weil Fussballtexte und People-Geschichten für Klicks sorgen. «Was festgehalten werden kann, ist, dass mehr private Fragen gestellt werden und es weniger um den Sport geht», so von Ah, der sich nicht als Interviewverhinderer sieht. «Wenn immer möglich, versuche ich die Interviews zu organisieren. Häufig kommt es zu Gesprächen mit Spielern in kleinen Gruppen.»
Falsche Aussagen wie Lawinen durch die Medien
Auch auf Vereinsebene hat die Aufmerksamkeit deutlich zugenommen. Josef Zindel war von 2001 bis 2013 Medienchef des FC Basel, zuvor war er Journalist bei der Sportinformation, der «Basler Zeitung», Radio DRS und bei der Zeitung Sport. Heute ist er beim FCB noch als Historiker und Redaktor für vereinseigene Magazine tätig. «Die Vereine mussten professioneller werden, das betrifft auch die Medienarbeit», sagt Zindel. Die Beachtung des Fussballs habe zugenommen, zudem sei alles schnelllebiger geworden. «Heute wird durch die Onlinemedien viel häufiger von anderen Zeitungen zitiert, so Zindel.
«Eine falsche Aussage geht wie eine Lawine durch alle Medien.»
Deshalb müsse man die Spieler in der Medienarbeit unterstützen. Dennoch habe sich Zindel als Dienstleister gesehen – gegenüber den Journalisten und dem Verein. «Es kam aber schon vor, dass ein Interview mal nicht möglich war. Etwa dann, wenn ein Spieler vor seinen eigenen Emotionen geschützt werden musste.»
Die Gefahr der Vereinsmedien
Wenn der Verein einfach einen x-beliebigen Spieler schicken will oder sogar gar kein Interview möglich ist, ärgern sich Journalisten. Doppelt ärgern sie sich, wenn der betreffende Spieler dafür ein Interview dem vereinseigenen Fernsehsender geben. Etwas, was immer häufiger vorkommt. Klubs wie Real Madrid, Bayern München oder die AC Milan haben eigene Kanäle. Die Schweizer Vereine kennen inzwischen Fernsehbeiträge, die als Videos online auf der Klubwebsite hochgeladen werden. Dazu kommen vereinseigene Magazine und Texte auf die Webseiten. Häufig ist es auch so, dass viele Fernsehbilder von den Ligen oder den Verbänden selber produziert werden. Dies trifft unter anderem auf die Europameisterschaften, die Weltmeisterschaften, die Bundesliga und die Premier League zu. Unerwünschtes, wie etwa Bilder von Flitzern oder Probleme in Fankurven, tauchen somit fast gar nicht auf. Die klassischen Medien werden aus Sicht der Vereine dafür scheinbar überflüssig.
Diese Entwicklung kann gefährlich sein, sind sich die Journalisten einig. «Vereinsmedien werden nie ein Ersatz für den unabhängigen Journalismus sein. Sie haben nie dieselbe Glaubwürdigkeit», sagt Clalüna, Catuogno ergänzt: «Die Vereine wollen keine Angriffsfläche bieten, sind möglichst clean und sauber. Dadurch wird alles austauschbar, Fussballer sind nur noch Lifestyle-Produkte und keine Menschen mehr.»