«Der emotionalste Moment meiner Fankarriere»: Unter diesem Motto berichtet FCL-Anhänger Raphael Gutzwiller, warum ihm das Barrage-Spiel der Luzerner gegen Lugano 2009 für immer in Erinnerung bleiben wird.
Als Supporter eines eher weniger erfolgreichen Fussballclubs wie dem FC Luzern, welcher den bisher letzten Cupsieg in meinem Geburtsjahr errang, hatte ich bis heute leider noch nie das Vergnügen mit meinem geliebten Verein einen Titel zu feiern. Der direkte Aufstieg in die Super League 2006 und den damit verbundenen Challenge-League-Titel dürfte in diesem Bereich das höchste der Gefühle dargestellt haben. Drei miterlebte Cupfinals 2005, 2007 und 2012 können mein Herz auch im Rückblick keinesfalls erwärmen, hatte doch entweder die Schiedsrichterin, Penaltykiller Yann Sommer oder schlicht ein zu schwaches Kader, welches sich in der Challenge League irgendwo im Mittelfeld klassiert hatte, etwas gegen einen positiven Ausgang. Von gewonnen Meistertiteln durch Siege in einer Finalissima kann ich nur träumen.
2006 unter Club-Legende René van Eck aufgestiegen, hielten wir uns in der Folge ziemlich souverän in der Super League. Bis zur Saison 2008/2009. Nach einer komplett verkorksten Vorrunde – in den ersten 12 Spielen holten wir nur zwei Punkte – lagen wir praktisch die gesamte Saison auf dem letzten Platz. Eigentlich schon fast abgestiegen begannen sich unsere Mannen in blau, die neu von Rolf Fringer trainiert wurden, zu wehren. Durch Leidenschaft und Toren der Goalgetter João Paiva und Joe Tex Frimpong kehrten wir wieder in den Abstiegskampf zurück. Schlussendlich erreichte der FCL den Barrage-Platz, beinahe hätte es sogar noch zum rettenden 8. Schlussrang gereicht.
Nachdem wir eine Saison zum Vergessen hatten, schien der Ligaerhalt plötzlich wieder realistisch. Allerdings sollte in der Barrage ein starker FC Lugano warten, welcher dem FC St. Gallen den Vortritt in die Super League hatte geben müssen. Die Mannschaft, angeführt von ChL-Torschützenkönig Renella, wollte unbedingt den Aufstieg in die Super League bewerkstelligen und mein Lieblingsteam in die Niederungen des Bs werfen. Dass eine Barrage gegen dieses Lugano alles andere als ein einfaches Unterfangen würde, zeigte bereits das Hinspiel, welches wir durch ein Tor von Pascal Renfer mit 1:0 verloren.
Das letzte Heimspiel
Auf dem Weg in die Allmend vor dem alles entscheidenden Spiel verspühre ich Angst. Angst vor dem Abstieg, Angst wieder in der Challenge League vor ca. 3000 Zuschauern spielen zu müssen. Seit nunmehr vier Saisons habe ich mein Taschengeld jährlich zusammengekratzt, um mir ein Saisonabo auf der Gegengerade zu kaufen. Für mich käme ein Abstieg meines FCLs einem Weltuntergang gleich. Anstelle von Duellen gegen die grossen Clubs aus Basel oder Zürich würden wieder Spiele gegen Wohlen oder Derbys gegen das damals verhasste Kriens warten.
Die Gefahr nach drei Spielzeiten im A wieder ins B abzusteigen ist allerdings nur ein Grund, warum ich mich mit einem speziellen Gefühl auf den Weg mache. Das Barragespiel soll auch das letzte Spiel überhaupt sein, das letzte in unserer Allmend. Seit 1934 ist die Allmend die Heimat des FC Luzerns gewesen. In dieser Zeit haben wir Innerschweizer einen Meistertitel (1989) und zwei Cupsiege (1960, 1992) gefeiert. Fussball auf der Allmend wurde 75 Jahre nicht nur gespielt, er wurde vor allem auch gekämpft. Kudi Müller, Roger Wehrli, Jürgen Mohr oder René van Eck haben nicht nur Tore erzielt, sondern auch ihre Knochen für Blau und Weiss hingehalten. Einen FCL ohne dieses in die Jahre gekommene Stadion mit der ehrfürchtigen Gegengerade kann ich mir noch weniger vorstellen als ein Abstieg aus der Super League.
Die Mannschaft zum Sieg gepeitscht
In meinem Lieblingsstadion angekommen, ist meine Angst vor dem Abstieg gleich verflogen. Zu gut ist die euphorisierte Stimmung auf der Gegengerade, ja sogar im ganzen Stadion, als das ich auch nur noch eine Sekunde an unseren Blauen gezweifelt hätte. Bereits vor dem Anpfiff werden die Fans ihrem Choreo-Motto «Heute geben wir nochmals alles!» gerecht. Als uns der ebenfalls euphorisierte Büsche Bucher nach der Aufstellung fragt, wird diese ihm nur so um die Ohren geschleudert. «Im Goal üsi Nommere eis: David» – «ZIBUNG!».
Nicht nur die Fans, auch die Mannschaft scheint sich für das Abschiedsspiel der Allmend gut vorbereitet zu haben und legt gleich von Beginn an los wie die Feuerwehr. Bereits in der 14. Minute ist es der heutige Captain Michel Renggli, welcher uns mit einem Freistoss 1:0 in Führung schiesst. Damit ist der Rückstand aus dem Hinspiel schon früh wieder wettgemacht.
Schockmoment mit grossem Knall
Angetrieben von den Fans drücken meine Luzerner weiter. Allen voran der überragende Mittelfeldkünstler Davide Chiumiento, welcher sein wohl stärkstes Spiel in der Innerschweiz macht. Die herausgespielten Möglichkeiten können (vorerst) allerdings noch nicht verwertet werden. Dann plötzlich explodiert irgendwas in der Nähe des Linienrichters vor der Gegengerade. Ein Böller ist aus dem FCL-Block aufs Feld geworfen worden.
Das Spiel steht auf der Kippe. Ein Abbruch droht. So also soll die 75-jährige Ära Allmend enden? Sollte sie nicht. Zum Glück. Durchatmen. Und weiter geht’s. Die Mannschaft wird wieder nach vorne gepeitscht und dankt es in den zweiten 45 Minuten mit einer der besten Halbzeiten der letzten Jahre. Vier Tore erzielt der FCL in dieser. Chiumiento, Paiva, Scarione und noch einmal Paiva sind für Blau-Weiss erfolgreich. Dass in der Schlussphase der gefürchtete Renella sogar noch einen Elfer verschiesst, ist noch das i-Tüpfelchen auf ein perfektes Spiel.
Bye bye, Allmend!
Und dann ist er da, der Schlusspfiff. Der Verbleib in der Liga ist gesichert, das letzte Spiel in der Allmend vorbei. Zum Abschluss erlebt die Festhütte ihr verdientes Fussballfest. Eine ganze Region hat ihre Mannschaft nach vorne gepeitscht, welche es mit der wohl besten Saisonleistung gedankt hat.
Nachdem die FCL-Stars eine Ehrenrunde zurückgelegt und mit uns Fans mit dem legendären UFFTA gefeiert hat, kommen die Lokalhelden Steven Egal & Emm auf das Feld und performen ihre FCL-Hymne «Ei Stadt i de Schwiiz». Unterstützt werden sie dabei von über 12’000 inzwischen heiseren Kehlen, die versuchen den Text mitzugrölen.
Danach ist ein weiterer grosser Moment gekommen und der Schlusspunkt unter diesen erinnerungsreichen Fussballabend. Von zehn runter gezählt, stürmen wir Fans ein letztes Mal unseren geliebten Allmendrasen. Ein Stück dieses Rasens sichere ich mir ebenso wie einen blauen Sitz der LUMAG-Tribüne. Als ich unten auf dem Rasen einer Freundin begegne ist ihr Mascara längst verschmiert, und unter Freudentränen sagt sie: «Es ist unglaublich!»
Publiziert auf kurzpass.ch am 10. April 2014.