Spektakuläre Rettungsaktion: Ricardo Rodriguez (Dritter von rechts) klärt in der 91. Minute auf der Torlinie. Bild: (Jean-Christophe Bott/Keystone)

Am Ende unnötig gezittert

Mit einem torlosen Unentschieden gegen Nordirland qualifiziert sich die Schweiz für die Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Diese Leistung verdient Respekt – ein bitterer Nachgeschmack bleibt aber.

Noch einmal halten 36’000 Menschen den Atem an. Die einen, weil sie hoffen, dass der Ball den Weg ins Tor doch noch findet. Die anderen, weil sie beten, dass er selbiges nicht tut. Es geht um viel. Um sehr viel. Um den Eintritt ans wichtigste Fussballturnier der Welt. Es läuft die 91. Spielminute, als der Ball vom nordirischen Linksverteidiger Chris Brunt nochmals in den Schweizer Strafraum geschlagen wird. Der bis dahin so sichere Torhüter Yann Sommer segelt am Ball vorbei. Jonny Evans kommt zum Kopfball. Doch zum Glück ist da noch Ricardo Rodriguez. Der Schweizer Verteidiger kann den Ball spektakulär auf der Linie retten.

Dies war die letzte entscheidende Szene in dieser WM-Qualifikation. Wenig später ist es geschafft. Der Schweizer Captain Stephan Lichtsteiner liess sich auf die Knie fallen, der Trainerstab um Vladimir Petkovic fiel sich in die Arme. Die Schweizer Nationalmannschaft qualifizierte sich mit dem torlosen Remis gegen Nordirland für die Weltmeisterschaft in Russland, setzte sich mit dem Gesamtskore von 1:0 in der Barrage gegen Nordirland durch. Schon in Belfast hatte man Ricardo Rodriguez danken können, nachdem er durch einen umstrittenen Handspenalty das einzige Tor erzielt hatte. Es war der entscheidende Treffer, der für die Reise nach Russland reicht.

Entschlossenheit in der Offensive fehlte

Doch eigentlich wäre es gar nicht nötig gewesen, gegen diese Nordiren in der Schlussphase so zittern zu müssen. Die Schweizer Offensive hatte nämlich die 90 Minuten zuvor dominiert und war zu vielen Möglichkeiten gekommen. Doch der letzte Pass war oft zu ungenau. Und wenn dieser dann ankam, dann fehlte die Entschlossenheit im Abschluss.

Ein Beispiel: Kurz nach der Pause kombinierten sich die Schweizer mit schnellen, genauen Pässen durch die nordirische Abwehr, bis Stephan Lichtsteiner alleine im nordirischen Strafraum auftauchte. Statt selber zu schiessen, legte der Captain den Ball nochmals quer auf Steven Zuber. Dieser nimmt den Ball an und präpariert ihn noch einmal. Bis er sich wirklich entschliesst, den Abschluss auf das Tor von Keeper Michael McGovern zu wagen, ist bereits ein nordirisches Bein zwischen Ball und Tor.

Natürlich war Nationaltrainer Vladimir Petkovic nach der Qualifikation erleichtert. Er sagte zur Zitter-Qualifikation: «Ich bin sehr stolz über diese Qualifikation zur Weltmeisterschaft. Die Mannschaft hat sie sich nicht nur heute verdient, sondern über elf Spiele, in denen wir den Gegner dominieren konnten.» Doch auch Petkovic gefiel nicht, dass man in der Offensive Mängel offenbarte. Gefragt, wie stark diese Schweizer Mannschaft sei, antwortet er: «Im Hinblick auf die Weltmeisterschaft müssen wir noch Fortschritte erzielen. Zum einen müssen wir fähig sein, mehrere Systeme zu spielen, zum anderen müssen wir überall auf dem Platz konkreter werden. Das gilt insbesondere vor dem gegnerischen Tor.»

Der Penaltypfiff ist bei den Nordiren noch nicht verdaut

So kam es, dass je länger das Spiel dauerte, desto ungeduldiger die Schweizer Fans wurden. Das schien auch auf das Team abzufärben. Dabei wären ja eigentlich die Nordiren gefordert gewesen, nach dem Rückstand aus dem Hinspiel etwas zu unternehmen. Doch auch in Basel standen die Nordiren defensiv und beschränkten sich auf Konter. Fast wäre diese Spielidee sogar zumindest für eine Verlängerung aufgegangen. Doch zum Glück stand Ricardo Rodriguez im Weg.

Der nordirische Trainer Michael O’Neill nervte sich nach dem Spiel aber nicht über die vergebene Torchance in der Nachspielzeit, seine Gedanken weilten immer noch beim Penaltypfiff aus dem Hinspiel am Donnerstag in Belfast. «Es ist einfach extrem schade, wenn man bedenkt, wie wir hier ausgeschieden sind. Leider wird ein so wichtiges Duell vom Schiedsrichter entschieden. Eigentlich müssten wir jetzt immer noch draussen sein und die Verlängerung spielen.» Die Aussage, dass seine Nordiren über beide Spiele die schwächere Mannschaft war, wollte der Trainer nicht unterschreiben. «Im Hinspiel war die Schweiz besser, heute waren wir besser. Schade, dass unsere Kampagne so endet. Unsere Jungs hätten die Qualifikation zur Weltmeisterschaft verdient gehabt.»

Xhaka: «Es interessiert nicht, wie wir uns qualifiziert haben»

Weiter geht es dafür für die Schweizer Mannschaft, die im nächsten Sommer nach Russland reisen darf. Dementsprechend fröhlich war bei den Schweizern die Gemütslage nach dem Spiel. Granit Xhaka brachte es auf den Punkt: «Es interessiert niemand mehr, wie wir uns heute qualifiziert haben. Was zählt, ist, dass wir unser Ziel erreicht haben und das Ticket nach Russland in der Tasche haben. Darüber freuen wir uns sehr.»

Zum bereits vierten Mal in Folge qualifiziert sich die Schweiz für eine WM-Endrunde. Rekord in der Geschichte des Schweizer Fussballs. Das ist nicht selbstverständlich, meinte Vladimir Petkovic: «Eine WM-Qualifikation ist nie einfach, die Spiele müssen erst gespielt werden.»

Nun können die Schweizer mit der Planung für die Weltmeisterschaft beginnen. «Bis jetzt habe ich noch gar keine Gedanken an Russland verschwendet. Morgen können wir aber beginnen, uns mit der Organisation der Reise zu beschäftigen», so Petkovic, der auch schon einen Wunsch hat: «Bitte nicht zu viele Europäer. Gegen diese haben wir jetzt schon oft genug gespielt.»

Publiziert in der Luzerner Zeitung 13. November 2017.

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