Céline Reust mit voller Konzentration auf den kleinen Ball, um am Ende des Ballwechsels jubeln zu können. (Bild: PD)

Sie hat das Talent von der Mutter geerbt

Die Tischtennisspielerin Céline Reust (19) wohnt zurzeit in Montpellier. Dort lernt sie nicht nur Französisch, sondern will auch sportlich einen weiteren Schritt nach vorne machen.

Der Alltag von Céline Reust sieht momentan genau so aus wie die letzten fünf Jahren am Gymnasium auch. Aufstehen, Schule, dann ab ins Training. Doch alles ist irgendwie anders: Statt Zürich ist es Montpellier, statt Deutsch Französisch. Für sechs Monate lebt die 19-Jährige im Süden Frankreichs. Dort geht es ihr nicht nur um die Sprache – obwohl sie im Frühling mit dem Dalf-Zertifikat (C1) wieder zurück in die Schweiz reisen möchte. Neben der Schule trainiert Céline Reust weiterhin 17 Stunden pro Woche am Tischtennistisch.

Am Tisch ist die Konkurrenz in Frankreich deutlich grösser. «Ich habe gestaunt, wie viele Frauen hier Tischtennis spielen», sagt sie. Und davon hofft sie, ihr Spiel weiterhin zu verbessern. Dabei ist ihr Spiel schon ordentlich – sie zählt zu den grössten Talenten der Schweiz. Mehr noch: Bei der Elite ist sie bereits die Nummer drei der Schweiz und spielt für die A-Nationalmannschaft. Sie ist mehrfache Schweizer Juniorenmeisterin und erreichte etwa mit der Nationalmannschaft an der Europameisterschaft den Achtelfinal. Mit der Nationalmannschaft trifft sie am Dienstag in Magglingen in der EM-Qualifikation auf Spanien. Für das Spiel reist sie extra aus Montpellier an.

Sie musste ihre Gastfamilie wechseln

Im Süden Frankreichs hat sie sich jetzt, in ihrer dritten Woche, langsam, aber sicher eingelebt. Dabei war der Start alles andere als toll. Bei der ersten Gastfamilie hat es ihr nicht gefallen. «Es lag nicht an der Familie, die war nett. Aber alles in der Wohnung war modrig. Es dauerte etwa fünf Minuten, bis das Licht anging, in meinem Bett konnte ich nicht aufrecht sitzen, und die Matratze war fürchterlich», sagt Reust. Als deshalb der Rücken zu schmerzen begann, war ihr klar, dass diese Wohnung nicht ihr Zuhause für die nächsten sechs Monate sein kann. Sie gab als Wechselgrund eine Katzenallergie an und bekam eine neue Gastfamilie. Dort gefällt es ihr gut – somit kann sie auch am Tisch wieder Vollgas geben.
Vom Tischtennis kann man leben. Zumindest so, dass man gerade so über die Runden kommt. Jetzt in dem halben Jahr in Montpellier lebt die 19-Jährige jedoch zu einem grossen Teil auch von den Eltern. «Dafür, dass es zum Leben reicht, wird mir hier zu wenig bezahlt», so Reust. «Bei anderen Vereinen hätte ich sicher mehr gekriegt. Für mich geht es hier aber nicht ums Geld, sondern darum, mich zu entwickeln.» In Frankreich sei die Konkurrenz grösser, in der Schweiz spielen wenig Frauen Tischtennis. Céline Reust trainiert bei Nîmes auch mit der Schweizer Nummer 1, Rachel Moret (CTT Meyrin), die momentan ebenfalls in Montpellier ist. «Deshalb ist für mich das die ideale Möglichkeit, in diesem Zwischenjahr die Sprache zu lernen und zu trainieren.» Damit will sie ihrem grossen Ziel näher kommen, einmal an den Olympischen Spielen teilzunehmen – und natürlich will sie auch die Nummer 1 der Schweiz werden.

Zum Tischtennis kam Céline Reust durch ihre Mutter Barbara Reust, die selber einst Nationalspielerin war. Diese war als Juniorentrainerin tätig und hat dann irgendwann Tochter Céline mitgeschleppt, die damals in ihrer Freizeit am liebsten Tennis spielte. «Durch das Tennis hatte ich von Anfang an einen Vorteil. Auch sonst hat es mir dort sehr gut gefallen, weshalb ich geblieben bin», so Céline Reust. Als es darum ging, zwischen Tennis und Tischtennis zu entscheiden, entschied sie sich für Letzteres. «Dort hatte ich die besten Freundinnen, das hat den Ausschlag gegeben», so Reust.

Schritt für Schritt kam Reust vorwärts und wurde ins Nationalkader aufgenommen, wo sie ab der U 13 alle Kaderstufen durchlief. Sie holte schon als 13-Jährige an den Schweizer Juniorenmeisterschaften zwei Goldmedaillen. 2011 wurde Reust in das Kunst- und Sportgymnasium Zürich aufgenommen, wo sie in diesem Jahr die Matura abschloss.

Lange spielte sie bei Uster, 2014 wechselte sie aber in die deutsche 3. Bundesliga zum ESV Weil. Inzwischen spielt sie für den TTC Rapid Luzern in der Nationalliga B – bei den Männern. «Gegen Männer zu spielen, ist schon anders als gegen Frauen. Kräftemässig sind die Männer einfach im Vorteil», so Reust. «Der Schlag kommt viel stärker als bei einer Frau.» Jedoch sei es nicht mehr so, wie früher, als sie für Uster in den Männer-Amateurligen gespielt hatte. «Dort waren die Männer im Stolz verletzt, gegen ein Mädchen verloren zu haben. Heute ist das anders, da die Leute wissen, dass ich in der Nationalmannschaft spiele.»

Autofahren fällt ihr leicht

Auch im Alltag merkt man ihre besonderen Fähigkeiten. So sei das Autofahrenlernen keine schwierige Sache gewesen für sie. «Beim Tischtennis wird man koordinativ sehr stark, das kam mir zugute», so Reust. Ihren Charakter beschreibt sie als sensibel und emotional. Das sieht man auch am Tisch: Bei einem Fehler nervt sich Reust gewaltig. «Ich kann dann laut werden und mich aufregen. Wichtig ist aber, dass ich beim nächsten Ballwechsel voll fokussiert sein kann und den Fehler vergessen habe.» Wenn ein wichtiger Ballwechsel gewonnen wird, kann sie dafür auch umso lauter jubeln. Sie ist eine offensive Spielerin, die ihren Gegner oder die Gegnerin zu Fehlern zwingen will. Manchmal ist sie aber ungeduldig. «Wenn der Gegner passiv spielt, dann nerve ich mich über die Spielweise», sagt sie. Aber auch lange Ballwechsel gewinne sie oft. Tischtennis sei zwar eher eine Kopfsportart, ins Schnaufen kommt Reust aber durchaus. «Ich bin auch schon nach Spielen total kaputt gewesen: sowohl körperlich als auch mental.» Das sei sowieso das Schwierigste bei ihrer Sportart, findet Reust. «Man muss sehr reaktionsschnell sein und immer im Kopf bereit sein. Sehr schnell ist man in einem Satz aussichtslos hinten.»

In Montpellier geniesst sie mit drei Stunden am Tag die viele Zeit, die sie ins Tischtennis investieren kann. Das will sie auch danach wieder – obwohl sie im Sommer ein Studium beginnen möchte. Jus steht aktuell an oberster Stelle, entschieden ist da aber noch nichts. «Ich habe zwar auch schon mit dem Gedanken gespielt, ein Fernstudium zu machen, um mehr Freiheiten zu haben. Schliesslich würde ich es aber vermissen, Leute um mich herum zu haben.» Nur Sport und Schule – das reicht ihr nicht. Sehr wichtig seien für sie auch ihr Umfeld. Freunde – die meisten selbst Sportler – und die Familie. Ihre Mutter habe sie nie gepusht, obwohl sie selber Spielerin war. «Oder vielleicht sogar deshalb», sagt Reust. «Sie kann sich gut in mich hineinversetzen und versteht mich vollkommen.»
Früher war ihre Mutter nicht nur im täglichen Leben ein Vorbild, sondern auch am Tischtennistisch. Seit einigen Jahren gewinnt die Familienduelle aber die jüngere Reust. «Meine Mutter spielt zwar sehr schön, aber technisch und spielerisch bin ich inzwischen sicher auf einem anderen Niveau», sagt Céline Reust und lächelt.

Publiziert in der Luzerner Zeitung am 22. November 2016.

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